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Menschenskinder

Menschenskinder

Titel: Menschenskinder
Autoren: Evelyn Sanders
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der wo die Schanett heute g’heiert hat müssen«, offenbar gar nichts.
    Er wollte auch nicht wahrhaben, dass er momentan auf der falschen Hochzeit war, und als er es endlich einsehen musste, fing er an zu jammern. Ich ließ ihn auf ein paar Quadratmetern Wiese inmitten von wilden Margeriten stehen in der Hoffnung, dass ihn über kurz oder lang jemand finden würde.
    Irgendwann zwischen Kaffee und Abendessen scheuchte uns Sascha ins Freie, auf dass wir neben der Treppe ein Spalier bildeten, während am Fuße derselben die unverheirateten Mädchen und Jungfr … nein, die jungen Frauen Aufstellung nähmen zwecks Empfangnahme des Brautstraußes. Viele waren es ja nicht, zumal die kleinen Brautjungfern noch nicht zugelassen wurden, denn Kinderehen sind in Deutschland nun mal verboten. Doch als Nastassja oben an der Treppe stand, sich langsam umdrehte und über die Schulter den Strauß herabwarf, hatte sich nahezu die komplette Hochzeitsgesellschaft aus dem Rittersaal als Zuschauer eingefunden und johlte Beifall. Gefangen wurde das Bordeaux- und cremefarbene Rosenbukett übrigens von Nastassjas Freundin, die bis heute noch nicht verheiratet ist, während die anderen Ledigen inzwischen alle verehelicht oder zumindest verlobt sind (wird ja wieder modern!) und zum Teil sogar schon Nachwuchs haben.
    Die alten Hochzeitsbräuche sind eben auch nicht mehr das, was sie mal waren, und der Wahrheitsgehalt ihrer Prophezeiungen ist ähnlich zutreffend wie die bäuerlichen Wetterregeln. Aber damals hat es wohl El Nino noch nicht gegeben …
    Die Rüschenbraut wurde nun auch aufgefordert, sich von ihrem Strauß zu trennen, weigerte sich jedoch, es quasi coram publico zu tun, denn inzwischen hatten sich alle abkömmlichen Kellner, Zimmermädchen und sonstigen Angestellten eingefunden. Also zog der gesamte Tross zurück auf die Terrasse, wo er sich frei von Feindeinsicht wähnte. Stimmte aber nicht, denn unsere Waffenkammer lag genau gegenüber und hatte niedliche kleine Fenster mit Butzenscheiben, die man alle öffnen konnte.
    Braut Jeannette wurde auf einen herbeigeholten Stuhl gehievt, um 90 Grad gedreht, die als potenzielle Ehekandidatinnen in Betracht kommenden Damen mussten sich in gebührender Entfernung aufstellen, und dann wurde der Strauß mit solcher Vehemenz geworfen, dass er über die Brüstung segelte und dreißig Meter tiefer auf dem Parkplatz landete. Der Bräutigam stiebte los, doch ob noch ein zweiter Versuch stattgefunden hat und falls ja, mit welchem Erfolg, haben wir nicht mehr mitgekriegt, weil sich die ganze Hochzeitsgesellschaft in den Rittersaal zurückzog.
    Nach der mitternächtlichen Gulaschsuppe hatte ich vom Feiern genug und sehnte mich nach meinem Bett. Das stand jenseits des Burghofes in einem der winzigen, jedoch sehr stilvoll mit Himmelbett und Bauerntruhe möblierten Zimmer. Ob es mal die Gesindekammern gewesen waren oder die Stallungen, wie Sascha vermutet hatte, weiß ich nicht, war mir auch egal, das Bett hatte jedenfalls eine Matratze und keinen Strohsack, es gab ein richtiges Bad mit Toilette statt des Porzellantopfes unterm Bett, und der in einschlägigen Büchern für mich immer besonders abschreckend klingende Krug mit klarem Brunnenwasser war durch eine moderne Dusche ersetzt worden.
    Ich habe absolut nichts gegen Romantik, solange man sie nicht übertreibt. Ein knisterndes Kaminfeuer ist herrlich, aber nur, wenn es irgendwo im Rücken noch eine normale Heizung gibt. Drei Hände voll Brunnenwasser können durchaus erfrischend sein, doch sich damit morgens waschen oder gar darin baden müssen …? Nein, danke! Ein alter Nachttopf sieht heutzutage ulkig aus, wird, sofern aus Meißen, sogar schon als Antiquität gehandelt (Sven hatte mal einen vom Flohmarkt mitgebracht – nicht aus Meißen! – und Geranien reingepflanzt), doch nachts um drei pfeife ich auf Romantik und ziehe eine Toilette mit Wasserspülung vor!
    Rolf lag schon im Bett und studierte die Preisliste von der Minibar. »Du hast doch hoffentlich keinen Durst mehr?«
    »Nein, habe ich nicht.« Erleichtert öffnete ich die beiden Knöpfe am Rockbund – der Reißverschluss glitt sofort von allein auseinander! -und schälte mich aus dem engen Futteral. Das hatte ich heute garantiert zum letzten Mal getragen! Ein Wunder, dass es nicht schon vorhin geplatzt war! Keine Ahnung, wann und wie, doch auf rätselhafte Art hatte sich mein Gewicht umverteilt. Die letzte Messung hatten 3 cm mehr in der Taille und 4 cm weniger im weiter oben
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