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Menschenskinder

Menschenskinder

Titel: Menschenskinder
Autoren: Evelyn Sanders
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gegenseitiger Toleranz. Ich entspreche ja auch nicht ihren Wünschen! Wir wohnen noch immer in einem simplen Reihenhaus, haben auch kein Dienstmädchen, das Logiergästen die Betten macht und ihnen die herumliegenden Klamotten hinterherräumt, also kann es mit meiner Berühmtheit wirklich nicht weit her sein. Und mit dem Reichtum schon gar nicht!
    Sunny hat immerhin schon ein Buch von mir gelesen, es »na ja, ganz nett« gefunden, ihre früheren Pläne, bei mir »in die Lehre« zu gehen, allerdings aufgegeben, weil man dabei wohl doch nicht so richtig berühmt werden kann. Sie ist jetzt gerade sechzehn geworden, findet die Schule »echt ääätzend«, Abitur überflüssig, und überhaupt brauche man für eine Fernsehkarriere, etwa als Moderatorin bei VIVA oder MTV, ganz andere Qualitäten. Ich kann mich erinnern, dass Sascha in dem Alter haargenau die gleiche Einstellung hatte, nur wollte er nicht zum Fernsehen, sondern zum Film. Als Stuntman.
    Ein Abgeordneter der gräflichen Geschäftsleitung trabte an und machte uns höflich darauf aufmerksam, dass nicht nur die Zimmer bis halb zwölf geräumt sein müssten, was dankenswerterweise geschehen sei, sondern auch der Parkplatz. Die ersten Mittagsgäste seien bereits eingetroffen, in Kürze sei mit einem Engpass zu rechnen, und ob wir nicht vielleicht die Parkmöglichkeiten ganz unten am Fuß des Berges …
    Jetzt ging alles ganz schnell. Das Gepäck war ohnehin schon verladen, die Abschiedsformalitäten schnell erledigt, jeden hatte es gefreut, alle kennen zu lernen, natürlich würde man sich wieder sehen, irgendwann einmal, spätestens zur Taufe, hahaha … Türen klappten, Hupen tönten, dann rollten die Wagen abwärts. Nur Thomas war noch neben mir stehen geblieben. »Was moanst?«, sinnierte er, der Autokolonne hinterherwinkend. »Ob’s jetzt gut ausgeht? Oder treff ma uns am End’ bei der dritten Hochzeit vom Sascha wieder?« Entsetzt sah ich ihn an. »Kommt nicht in Frage! Jetzt sind erst mal seine Schwestern dran!«
    Nun schien es wirklich so weit zu sein. Offiziell wusste ich noch gar nichts, inoffiziell hatte mich Steffi aber doch schon informiert, natürlich unter dem Siegel der Verschwiegenheit.
    »Weshalb so plötzlich? Ist sie schwanger?« Ein nahe liegender Gedanke, denn Nicki und Jörg lebten seit bald zwei Jahren zusammen, liebten sich immer noch, hatten aber bis dato nie die Absicht geäußert, ihre Verbindung auch amtlich besiegeln zu lassen. »Wozu denn? Das ist irgendwie so endgültig«, hatte Nicki noch vor gar nicht langer Zeit geäußert, »und bringt ja nicht mal steuerliche Vorteile.«
    »Ihr seid mir heute alle zu pragmatisch!« Rolf hatte nur mit dem Kopf geschüttelt. »Früher hat man aus Liebe geheiratet, manchmal auch wegen Geld, doch nur, wenn sich’s wirklich gelohnt hat, aber wann heiratet man heutzutage?«
    »Wenn der Bausparvertrag reif ist!«, hatte Katja gesagt. »Oder habt ihr etwa keinen?«
    »Sogar zwei!«
    »Wieso denn das? Jörg ist doch gar kein Schwabe.«
    »Der nicht, aber ich!«
    Das allerdings hatte ich sofort bestritten! »Ein Pferd, das zufällig im Kuhstall geboren wird, gibt deshalb noch lange keine Milch, und ein von Preußen gezeugtes und aufgezogenes Kind ist allenfalls ein Papierschwabe, sofern es im Ländle zur Welt gekommen ist. Du beherrschst ja nicht mal den hiesigen Dialekt!«
    »Das fehlte noch! Was die hier reden, ist kein Schwäbisch, sondern eine verbale Katastrophe.«
    Hm. Na ja, irgendwie hatte sie Recht.
    Schließlich hatte Rolf das Thema Heirat beendet mit der Bemerkung, heutzutage sei eben alles anders geworden, er brauche nur mal an die damals üblichen Gepflogenheiten zu denken. »Früher hat man seine Sekretärin auf die Reise mitgenommen und sie als seine Frau ausgegeben, aber jetzt, in der Epoche der Spesenabrechnungen, nimmt man seine Frau mit und gibt sie als seine Sekretärin aus.«
    »Na und? Hast du doch auch gemacht! Oder wie war das damals mit Määm und der Geschäftsreise nach Brüssel?«
    »Das ist vierzig Jahre her, und überhaupt geht euch das gar nichts an!«
    Dieses Gespräch lag ungefähr ein halbes Jahr zurück. Dazwischen hatte jene feierliche Handlung mit Eidesformel und Urkunde stattgefunden, die in dem fürchterlichen Begriff »Verbeamtung auf Lebenszeit« gipfelt. Seit diesem Tag gehören die Zwillinge jener Gattung Arbeitnehmer an, die über besondere, jedoch keineswegs berufsbedingte Fähigkeiten zu verfügen scheinen. Ich gönne sie ihnen ja von Herzen, sehe aber
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