Menschenskinder
Er hatte mich schon früher als »erstaunlich pflegeleicht« eingestuft, außerdem hatte ich schon so manches Mal in Shorts und T-Shirt hinter der Halle in seinem Außenlager gestanden und bei sommerlicher Hitze zusammen mit Steffi und Lizzy Weihnachtsmänner, herzige Engelein und Christbaumkugeln ausgepackt (aber das ist ein Kapitel für sich und wird auch noch eins werden!) – unentgeltlich natürlich, wozu hat man schließlich Verwandtschaft? – so dass er im Falle einer Ablehnung mit künftiger Arbeitsverweigerung meinerseits rechnen musste.
Wir reisten also gemeinsam auf die Malediven, sahen uns – außer zu den Mahlzeiten – nur sporadisch, denn ihr Bungalow stand auf Stelzen im Wasser, meiner mitten auf der Insel, die beiden hörten nachts das Meer rauschen, ich die Palmen, aber zwischen den Tauchgängen ruhten sie sich doch bei mir am Strand aus, und den abendlichen Verdauungsspaziergang (drei Mal zügig barfuß durchs flache Wasser rund um die Insel = 35 Minuten!) unternahmen wir auch gemeinsam. Danach ging’s zum Absacker an die Bar, aus der ich mich immer relativ früh verdrückte. Taucher – und die meisten Gäste sind nun mal welche – können sich nämlich nur übers Tauchen unterhalten; von Tag zu Tag wird der kürzlich gesichtete Manta größer, der Abstand zu ihm geringer (»Ich hätte ihn mit den Händen greifen können!«), und die Debatte, ob gelbe Flossen tatsächlich Haie anziehen oder nicht, ist auch nicht so interessant, weil man selbst sowieso nie die Probe aufs Exempel machen wird. Da fühlte ich mich auf meiner Terrasse mit einem Glas Eistee in der einen Hand und einem spannenden Krimi in der anderen entschieden wohler, zumal er im winterlichen New York spielte mit detaillierten Schilderungen der handlungsbedingten arktischen Kälte. So etwas hebt den Urlaubsgenuss ungemein!
Im Jahr darauf urlaubten wir gemeinsam auf Jamaika, wo es mir ausnehmend gut gefallen hatte, Steffi und Hannes leider nicht, denn dort sind die Tauchgründe wenig ergiebig. Bequia, das nächste Ziel, ein winziges Eiland unter den sowieso nicht großflächigen Grenadinen, hat zwar viel Flair, gehört aber nicht umsonst zu den Inseln unter dem Winde und ist bei allen Hochseeseglern beliebt. Eigentlich hätte uns das stutzig machen müssen, doch wir haben’s erst gemerkt, als wir dort waren. Maximal fünf Minuten Sonnenbad, dann wurde es zu heiß, im Schatten fing man nach ebenfalls fünf Minuten an zu bibbern. Der ewige Wind! Egal, wo man sich aufhielt, er wehte! Und von den Walen, die dort vorbeiziehen sollten, haben wir auch nichts gesehen, sie müssen die Route gewechselt haben. Warum, weiß ich nicht, am Wasser kann es nicht gelegen haben, das war lausig kalt. Sogar Steffi, die erst viel später friert als ich, war immer schon nach drei Minuten wieder draußen. »Da drin kriegt man ja Frostbeulen!«
Jedes Jahr, wenn wir das nächste Reiseziel ausgucken (die Adventsonntage eignen sich am besten dazu!), versuche ich vergeblich, die beiden Unterwasserfreaks zu einem Urlaub ohne Neopren-Anzug und Lungenautomat zu überreden (es würde auch die regelmäßigen Kosten des Übergepäcks vermindern!), aber das ist mir bisher nicht gelungen.
Nun wird jeder logisch denkende Mensch fragen, warum ich nicht alleine und dann dahin fahre oder fliege, wohin ich gerne möchte. Alleinreisen macht einfach keinen Spaß, und die Gewissheit, dass im Notfall jemand da ist, sollte man auch nicht unterbewerten. Man braucht doch immer einen, der Händchen hält, wenn es einem mal dreckig geht.
Es war Zufall, dass die Ampel gerade dann rot wurde, als wir auf der Fahrt in die Innenstadt neben einem Reisebüro stehen bleiben mussten. »Beim nächsten Wechsel kommen wir sowieso noch nicht über die Kreuzung«, sagte Steffi, die vor uns haltenden Wagen abschätzend, »lauf doch mal schnell rein und frag, ob die da drin den Katalog haben!«
Mehr brauchte sie nicht zu sagen, ich wusste auch so, was sie meinte. Schon lange suchten wir Unterlagen jenes Veranstalters, der »Individualreisen für jeden Geldbeutel« offerierte, nur schien es wohl doch mehr Individualisten zu geben, als man gemeinhin annimmt; entweder war der Katalog vergriffen oder – was häufiger der Fall war – man kannte ihn gar nicht.
Hier hatte ich Glück. Kein Wunder, die mittelalterliche Dame hinter dem Schreibtisch war die personifizierte Reklame für Individualreisen. Sie war lang und dünn, hatte asketische Gesichtszüge, trug ihre grau melierten Haare in Form
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