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Menschenskinder

Menschenskinder

Titel: Menschenskinder
Autoren: Evelyn Sanders
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doch, ich komme schon!« , murmelte Steffi, doch bevor sie die Treppe erreicht hatte, war Hannes bereits an der Tür und schloss auf. »Zu Hause reagiert er nie so schnell, wenn’s klingelt.«
    »Solltest du im Laufe des Tages Zeit haben, dann könntest du mal ein bisschen Ordnung in die Spraydosen bringen«, hatte Hannes gleich am Morgen gesagt, »da sieht ja niemand mehr durch.«
    Die Spraydosen befinden sich ganz oben im Regal, so dass man eine Leiter braucht und hiervon mindestens die dritte Stufe. Man steht also über den Dingen und vor allem über den Kunden, die einen zwar sehen, aber nicht wahrnehmen, weil man irgendwie zum Inventar gehört. Ungewollt kann man auf diese Weise Zeuge von recht unterhaltsamen Gesprächen werden.
    »Komm doch mal hierher, Hanna, was hältst du von der Kerze mit den Bärchen drauf, ob die was wäre fürs Seniorenheim?«
    Hanna, gestandene Mitfünfzigerin mit Dutt und grüner Gärtnerschürze vor dem Bauch, stapft heran. »Welche? Etwa die da?«
    ›Die da‹ ist cremefarben und mit kleinen braunen Teddys verziert, ganz niedlich, doch sicher nicht jedermanns Geschmack.
    »Nee«, sagt Hanna kategorisch, »damit brauchen wir gar nicht zu kommen! Erstens ist sie wahrscheinlich zu teuer, und zweitens wollen die alten Leutchen bestimmt das klassische Rot haben.« Trotzdem nimmt sie die Kerze in die Hand. »Kannst du erkennen, was sie kostet?«
    »Elf Mark.«
    »Ist zu viel, wir haben ausgemacht, nicht mehr wie zwanzig pro Gesteck, und da muss ja noch was dazu. Vielleicht was mit Glas, da drüben gibt es Untersetzer.«
    Die Damen treten ab. Ende des ersten Aktes.
    Der zweite beginnt wenige Minuten später. Ich bin inzwischen bei den erikafarbenen Spraydosen angekommen, immer noch im selben Regal, allerdings weiter rechts. Gegenüber befinden sich jetzt nur noch einfarbige Kerzen.
    Hanna schießt um die Ecke und stellt die Bärchenkerze ins Regal zurück, kommt zwei Schritte näher, greift zu einer apfelgrünen. »Du mit deiner ewigen Entschlusslosigkeit! Warum denn nu wieder keine roten? Kein Wunder, dass du mit siebenundvierzig immer noch ledig bist. Das hält ja kein normaler Mann aus. Den Richard bist du doch auch wieder los, stimmt’s? Dabei war das wirklich mal’n ganz Netter. Du bist so was von dämlich bist du …« Sie dreht sich um. »Waltraut, wo steckst du denn?«
    Waltraut, zierlich, dünn und verhuschelt, nähert sich langsam.
    Hanna: »Nun gib doch endlich den Untersatz her, ich will sehen, ob die Kerze dazu passt.«
    Waltraut reicht ihr einen sternförmigen Goldteller. Hanna setzt die Apfelgrüne drauf. »Nee, sieht fürchterlich aus. Was meinst du zu der kakaofarbenen?« Probiert die dunkle Kerze. »Ach so, du hast ja keine Meinung.« Stellt Teller samt Kerze auf den Fußboden und betrachtet beides von oben. »Doch, das geht. Wenn wir das Ganze noch mit einem Tannenzweig dekorieren, sieht es richtig nach was aus, oder etwa nicht? Muss ja nu wirklich nicht immer Rot sein.«
    »Wenn du meinst …« , kommt es zögernd von Waltraut, »mir erscheint es ein bisschen ärmlich.«
    »Na schön, binden wir noch eine Schleife an jedes Gesteck, aber dann müssen wir Goldband mitnehmen. Wir brauchen auch noch zwei Kartons Steckmasse, Bindedraht, und denk an die …«
    Woran Waltraut noch denken sollte, habe ich nicht mehr verstanden.
    Auch von dem Gespräch der beiden jungen Mädchen habe ich nur den Mittelteil mitgekriegt. Offenbar waren sie Azubis in einer Friedhofsgärtnerei und mit einer langen Einkaufsliste unterwegs. Sie standen im nächsten Gang bei den roten Grablichtern, also auf der anderen Seite des Regals, konnten mich jedoch wegen der hohen Spraydosen nicht sehen und wähnten sich offenbar ungestört.
    »… glaube ich nicht. Dazu ist die viel zu prüde, die weiß doch nicht mal, wie man Sex buchstabiert, aber ganz kurz kann sie sich bei den Beinen natürlich nicht leisten …«
    »Und trotzdem zieht sie jetzt mit Alex rum«, wunderte sich die zweite Stimme, »was findet der bloß an ihr?«
    »Na, was wohl«, spöttelte die erste Stimme, »die Kohle natürlich! Sie kriegt’s doch vorne und hinten reingeschoben.
    Papa hat ja genug! Bei ihr hat der Schleimi bestimmt noch seine alte Masche abgezogen, dabei ist die in der ganzen Berufsschule bekannt.«
    »Mir aber nicht.«
    »Willst du etwa behaupten, er hat dich noch nie angemacht?«
    Es folgte vermutlich ein Kopfschütteln, denn die erste Stimme sprach weiter. »Dann bist du wahrscheinlich nicht sein Typ, er steht mehr
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