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Menschenskinder

Menschenskinder

Titel: Menschenskinder
Autoren: Evelyn Sanders
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gehört, aber Amaranthus? Der wächst vermutlich gar nicht in Europa, also muss ich ihn nicht kennen müssen …
    In diesem Moment schoss Lissy vorbei. »Amaranthus?«, rief ich hinterher.
    Sie drehte sich kurz um. »Fuchsschwanz! Das ist das Rote!«
    Also doch die deformierte Angelrute. Ich hatte es beinahe vermutet! Übrigens war sie die einzige Pflanze, die Ähnlichkeit mit ihrem lebenden Original hatte, denn was ich danach aus den unzähligen Lagen von Seidenpapier wickelte, war mir in der freien Natur noch nie untergekommen! Wo wachsen denn königsblaue Rosen mit Silberrand oder cremefarbene Chrysanthemen mit Goldsprengseln? Wo gibt es glitzernde Glockenblumen?
    Eine Stunde später sah ich selber aus wie die Goldmarie aus Grimms Märchenbuch, zwar nicht so schön, aber mindestens genauso glänzend. »Geht das Zeug eigentlich wieder raus?«
    »Mit einer harten Bürste ist das kein Problem«, sagte Steffi und pflückte ein paar Goldpünktchen von meinem Kragen, »aber morgen solltest du lieber was Glattes anziehen, dann bleibt weniger an dir hängen.« Sie schulterte eine der überall herumstehenden Aluminiumleitern. »Hol dir mal einen Einkaufswagen, ich gebe dir ein paar Kartons herunter. Vorne muss einiges aufgefüllt werden.«
    Die meisten Sachen kannte ich bereits, hatte ich mir doch an den goldenen Sternen auf Stiel schon vor Monaten die Finger zerstochen, hatte Schneemänner und Nikoläuse ausgepackt und herzige Engelein aus ihren Styropor-Gefängnissen befreit. Jetzt standen sie in Marschformation aufgereiht in den Regalen, Fahnenflüchtige hatten jedoch unübersehbare Lücken hinterlassen, die nun wieder geschlossen werden mussten.
    »Arbeiten Sie hier?«, erkundigte sich eine ältere Dame etwas schüchtern.
    »Nur vorübergehend, aber vielleicht kann ich Ihnen trotzdem helfen.« Das erschien mir zwar unwahrscheinlich, aber ich konnte es wenigstens versuchen.
    »Ich suche nämlich Silber, wissen Sie, so lose Fäden, die habe ich vorhin in einem anderen Einkaufswagen gesehen. Ich weiß bloß nicht, wo die sind.«
    Ich auch nicht! Genau genommen wusste ich nicht einmal, was sie suchte. »Meinen Sie Lametta?«
    »Nein, was viel Dünneres.«
    Was um alles in der Welt kann dünner sein als Lametta? »Augenblick, ich erkundige mich mal.«
    Stefanie war nicht zu sehen, also rauf ins Aquarium, wo Hannes über einem Stapel Rechnungen brütete. »Was können das für lose silberne Fäden sein, wenn’s kein Lametta ist?«
    Er sah mich an, als würde ich chinesisch reden. »Was willst du?«
    »Lose silberne Fäden, aber kein Lametta.«
    »So was gibt es nicht. Aber frag vorsichtshalber Steffi. Oder Lissy, die kennt sich auch aus!«
    Und das nennt sich nun Chef! Hat offenbar überhaupt keine Ahnung, was er in seinem Laden verkauft!
    Wenigstens wusste es Lissy. »Die Kundin meint wahrscheinlich Bouillondraht«, sagte sie und zeigte mir, wo er lag. Warum der so heißt, konnte sie mir zwar nicht sagen, aber als mich zwei Tage später jemand nach diesem »Ziehband mit dem komischen Namen so ähnlich wie Suppenwürfel« fragte, wusste ich sofort Bescheid.
    Schwieriger war es schon am Telefon. Anfangs hatte ich mich geweigert, Anrufe entgegenzunehmen, doch wenn gerade niemand in Reichweite oder mit Kunden beschäftigt war, musste ich wohl oder übel ran. »Firma XY, guten Tag.«
    »Haben Sie Brathähnchen?«
    »Äh, bitte was? Hier ist doch keine Imbissbude!«
    »Na, eben Brathähnchen aus Plastik oder so, wo man ins Schaufenster legen kann.«
    »Nein, tut mir Leid, so etwas führen wir nicht.«
    Der nächste Anrufer war eine Sie, die in unverfälschtem schwäbischen Dialekt den Text für eine Kranzschleife durchgeben wollte. Stenografie hatte ich vor ewigen Zeiten mal gelernt, doch seit Jahren nicht mehr angewandt, wer braucht denn so etwas noch im Zeitalter von Fax und Diktiergeräten? Egal, ich schrieb mit, was durch den Hörer kam. Zum Glück war der Text nur kurz, nämlich »In Dankbarkeit«, jedoch bei Paul und Else Emdenschdich wurde es schon schwieriger. Merkwürdiger Familienname, klang so gar nicht schwäbisch. Ich legte den Zettel in das Körbchen zu den anderen, wo Hannes ihn wenig später wieder herauszog, las und lauthals loswieherte. »Hast du das aufgenommen?« Er hielt mir den Zettel entgegen und deutete mit dem Finger auf die zweite Zeile. »Was soll denn das da heißen?«
    »Wenn du das nicht mal mehr lesen kannst, solltest du dich endlich zum Ankauf einer Brille entschließen!«, empfahl ich ihm. »Ich
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