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Menschen wie Götter

Menschen wie Götter

Titel: Menschen wie Götter
Autoren: Sergej Snegow
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das Bürschchen jagte vorbei und schaukelte etwa zehn Meter von mir entfernt in der Luft.
    „Warte, dich kriege ich!“ schimpfte ich und mußte an mich halten, um nicht zu lachen.
    „Mich kriegen Sie nicht. Keiner kriegt mich.“
    Sofort riß er aufwärts aus und spähte aus Adlershöhe nach einem neuen Opfer.
    An der Kreuzung Rote Straße und Sternenprospekt standen freie Aviettes. Ich setzte mich in eine und befahl im stillen: Zur Museumsstadt!
    Wenig später schwebte die Aviette auf dem Pantheonplatz nieder, am Denkmal für die Kuh.
    Ich gehe stets ins Pantheon, wenn ich in die Hauptstadt komme. Heute wird niemand mehr dort beigesetzt. Aber die gewaltigen Geister und Charaktere verflossener Jahrhunderte verdienen ewig geehrt zu werden - unsere Urgroßväter taten es, indem sie ihnen das Pantheon errichteten.
    Neben den Denkmälern für Phantasiegestalten, die auf die geistige Entwicklung der Menschheit Einfluß nahmen, stand die Statue Andrej Tanews.
    Tanews Leben ist nur in großen Zügen bekannt, obwohl seine Gefängnishefte zweihundert Jahre nach seinem Tode gefunden wurden, aber in seiner Geschichte hat sich Wahrheit derart mit Dichtung verquickt, daß nur eins glaubwürdig ist: Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts nach der alten Zeitrechnung lebte der Mann, der die Metamorphose von Materie in Raum und von Raum in Materie entdeckte, die später „Tanew-Effekt“ genannt wurde.
    Der Bildhauer hat Tanew in Gefängniskleidung dargestellt - die Hände auf dem Rücken verschränkt, den Kopf erhoben. Der Häftling blickt in den Nachthimmel, sinnt über die Sterne nach, stellt eine Theorie auf, sie aus dem Nichts zu bilden und ins Nichts zu verwandeln. Es gelang Tanew als erstem, Formeln zur Umwandlung von Raum in Masse auszuarbeiten, und er war der erste, der verkündete, die Zeit werde kommen, da der Mensch wie ein Gott Welten aus dem leeren Raum schaffe und sich schneller als das Licht fortbewege. All das ist in seinen Gefängnisheften zu lesen.
    Von Tanew ging ich zu Ngoros Büste. Sie steht unweit der Statuen von Marx und Lenin. Diesen Platz besuche ich, bevor ich etwas Wichtiges in Angriff nehme.
    In der Mitte der Galerie erhebt sich auf einem Piedestal eine Kristallglocke, unter der Ngoros schwarzer Lockenkopf ruht. Er scheint zu leben, doch die fest geschlossenen Augen bezeugen, daß dieses mächtige Gehirn nie mehr zum Leben erwacht. Alles an diesem erstaunlichen Kopf ist mächtig und massiv, heiter und von Güte durchdrungen. Als ich erfuhr - damals ging ich noch zur Schule-, Ngoro habe einen Unfall erlitten und die stümperhafte Medizin seines Jahrhunderts habe nur den von den Schultern getrennten Kopf retten können, schien es mir wunderbar, daß der Kopf redete, dachte, lachte, sogar sang, zur Nacht einschlief, am frühen Morgen erwachte, lebte, normal zweiunddreißig Jahre lebte! Ein antiker Musikant komponierte, taub geworden, die beste seiner Symphonien, Ngoros vom Rumpf getrennter Kopf vollendete die Theorie, wissenschaftliche Systeme mittels Auflösung experimenteller Fakten in mathematischen Reihen zu schaffen. Und als ich mich Ngoros Kopf näherte, erinnerte ich mich, daß die Freunde des Gelehrten oft vor ihm weinten. Ngoro warf ihnen dann Kleinmut vor und wiederholte immer nur, er fühlte sich wohl, da er den Menschen noch nützen könne. Im siebenundsechzigsten Jahr seines Lebens verschied er. Und er wußte, daß er starb, der künstliche Blutkreislauf hatte das Leben des Kopfes verlängern, ihn aber nicht unsterblich machen können. Er verabschiedete sich von den Freunden, grüßte alles Vernünftige und Gute, das noch auf Erden erscheinen würde, und schlief, wie immer gütig lächelnd, zu seiner gewohnten Zeit still ein diesmal für immer.
    Ngoros schwarzes Gesicht lächelte, es war, als sei er heut nacht eingeschlafen, nicht schon vor zweihundert Jahren.
    „Die Wolken! Die Wolken'„ wurde auf dem Platz gerufen.
    Ich lief zum Ausgang und forderte durch die Beschützerin eine Aviette an.

10
     
    Rasch füllte sich der Himmel. Ich beeilte mich, um mich über der Insel der Museumsstadt aufzuschwingen.
    Um mich herum stiegen Hunderte anderer Aviettes auf, über der Stadt waren bereits so viele, daß kein Menschenhirn mehr imstande gewesen wäre, sich in dem Gedränge zurechtzufinden. Ich stellte mir vor, die Große Staatsmaschine falle aus, die Beschützerinnen der sich in der Luft amüsierenden Hauptstadtbewohner verlören die Verbindung zu ihnen, und erschrak. Die Menschen würden
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