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Menschen und Maechte

Menschen und Maechte

Titel: Menschen und Maechte
Autoren: Helmut Schmidt
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Greuel des Krieges und auch der völkerrechtswidrigen, verbrecherischen Untaten der Deutschen, die er ständig »die faschistischen Soldaten« oder »die faschistischen Invasoren« nannte.
    Ich hatte den gleichen Krieg miterlebt; ich wußte, wie recht er hatte; ich wußte auch, wie sehr er im Recht war, so zu reden – obgleich er an einigen Stellen zu übertreiben schien. Ähnlich muß es Willy Brandt und den anderen anwesenden Deutschen gegangen sein, denn wir alle hörten Breschnew respektvoll eine sehr lange
Zeit zu. Es lag ihm daran, dies war uns deutlich, seinen Gastgebern die große Wende fühlbar zu machen, die große Selbstüberwindung, die es ihn und die Russen gekostet hatte, sich zur Zusammenarbeit mit der Bundesrepublik Deutschland, zum Moskauer Gewaltverzichtvertrag und zum Viermächteabkommen über Berlin zu entschließen – und zum Besuch in Bonn, bei den ehemaligen Feinden.
    Ich selbst dachte bei Breschnews Schilderungen an meine eigene Kriegszeit, die inzwischen mehr als drei Jahrzehnte zurücklag. Ich erinnerte mich an den Geruch im brennenden Sytschewka, an die Leichen an den Straßenrändern; meine Batterie hatte immer wieder Befehl bekommen, mit 2-cm-Flakgeschützen die Dörfer in Brand zu schießen, um feindliche Widerstandsnester an den Dorfrändern auszuräuchern. Ich erinnerte mich an mein verständnisloses Entsetzen, als ich einmal in einem rückwärts gelegenen Versorgungsstützpunkt die unmenschlichen Bedingungen eines Gefangenentransportes erlebte, und an den Kommissarbefehl, dessen Vollzug wir zwar nicht miterleben mußten, von dessen Durchführung, nämlich der Erschießung der gefangenen Kommissare, wir jedoch wußten. Ich dachte an unsere Scheu vor jeder persönlichen Berührung mit kriegsgefangenen russischen Soldaten; mir fiel die gegenseitige Angst wieder ein, welche deutsche Soldaten und russische Zivilbevölkerung voreinander hatten, als wir nach Einbruch des Winters 1941 schließlich doch Zuflucht in den Häusern suchten, um zu schlafen – die Deutschen auf dem Fußboden und die Russen auf dem Ofen. Ich erinnerte mich an unsere eigenen Ängste; an mein tiefes Erschrecken über die grauenhaften Schreie eines an einer schweren Unterleibsverwundung sterbenden Kameraden. Aus dem Vergessen stieg wieder meine panische Angst, als wir im Dezember 1941 bei Klin abgeschnitten und eingekesselt waren und uns die Gefangenschaft bevorzustehen schien. Breschnew hatte recht: Der Krieg war schrecklich gewesen, und wir Deutschen hatten ihn in sein Land getragen.
    Aber er hatte zugleich unrecht in seiner Einseitigkeit; nicht nur deutsche, auch russische Soldaten hatten Greueltaten an ihren damaligen Feinden begangen. Und er hatte unrecht, wenn er in den ehemaligen deutschen Soldaten Faschisten sah. Die große Masse
deutscher Soldaten, ihre Unteroffiziere, Offiziere und Generale waren sowenig Nazis gewesen wie die große Masse unserer damaligen Feinde Kommunisten; auf beiden Seiten hatte man geglaubt, seinem Vaterland dienen und es verteidigen zu müssen. Seit langem wußte man, daß die Oberbefehlshaber hier wie dort rücksichtslos waren. Breschnew klagte allein Hitler an; wußte er nicht oder wollte er nicht wissen, daß auch Stalin manchen seiner Feinde hatte umbringen lassen? Ich dachte keineswegs daran, die beiden Männer miteinander zu vergleichen; auch hatte Breschnew keine Veranlassung, über sowjetische Kriegsverbrechen zu reden. Gleichwohl entschloß ich mich, ihm zu widersprechen.
    Nein, eigentlich nicht zu widersprechen, aber doch ihm und seiner Begleitung die andere Seite des Krieges vor Augen zu führen. Breschnew hatte vielleicht zwanzig Minuten gesprochen. Ich begann leise und zurückhaltend, aber ich sprach fast genauso lange. Willy Brandt ließ den ehemaligen deutschen Soldaten gewähren, der noch vor kurzem Inhaber der Befehls-und Kommandogewalt über die Bundeswehr gewesen war.
    Ich räumte ein, wie sehr Breschnew im Recht sei, aber ich widersprach dem Wort von den faschistischen Soldaten. Ich schilderte die Lage meiner Generation: Nur wenige von uns seien Nazis gewesen und hätten an den »Führer« geglaubt, es seien Ausnahmen gewesen; die meisten von uns hätten es jedoch als Pflicht empfunden, die Befehle ihrer militärischen Vorgesetzten zu befolgen; diese hätten im übrigen ebenso gedacht, auch von ihnen seien die wenigsten Nazis gewesen. Während meiner acht Jahre in der Wehrmacht hatte ich in der Tat keinen einzigen überzeugten Nationalsozialisten als Vorgesetzten
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