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Menschen und Maechte

Menschen und Maechte

Titel: Menschen und Maechte
Autoren: Helmut Schmidt
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gewiß für das »Dossier Schmidt« ausgewertet, das Leonid Breschnew bei meinem fünf Jahre später stattfindenden ersten amtlichen Besuch studiert haben dürfte.
    In diesem Dossier wird wohl auch mein Buch über die »Strategie des Gleichgewichts« aus dem Jahre 1969 eine Rolle gespielt haben, in dem ich unter anderem die machtpolitische und militärische Rolle der Sowjetunion gegenüber ihren eigenen Verbündeten (unter der Kapitel-Überschrift »Breschnew-Doktrin«), gegenüber dem Westen und speziell gegenüber Deutschland analysiert und Schlußfolgerungen für die Außen- und Verteidigungspolitik meines eigenen Landes gezogen hatte. Schließlich werden die sowjetischen Militärs meine Zielsetzungen, Handlungsweisen und Äußerungen während der drei Jahre meiner Amtszeit als Verteidigungsminister studiert haben.
    Ich war entschieden für die Festigung des westlichen Bündnisses
und für innere Reform und Stärkung der Bundeswehr eingetreten. Ich hatte für jedermann nachlesbar zum ersten Mal ein umfangreiches »Verteidigungs-Weißbuch« veröffentlicht, das mein Freund Theo Sommer an der Spitze des Planungsstabes auf der Hardthöhe nach vielen Informations- und Diskussionskonferenzen mit Vertretern der Truppe wie der militärischen Führung erarbeitet hatte.
    Schließlich hatte ich mich in den turbulenten Ratifikationsdebatten des Bundestages im Frühjahr 1972 über die Ostverträge der Regierung Brandt/Scheel vehement für die Ratifikation eingesetzt und ihre Notwendigkeit aus meiner gesamtstrategischen Sicht der Sowjetunion begründet. Vermutlich paßte ich 1974 für die Beraterstäbe in Moskau weder in die Klischees vom angeblichen deutschen »Militarismus« oder »Revanchismus«, noch kann ich ihnen als ein Mann des »Appeasement« oder der Anpassung erschienen sein. Wahrscheinlich hatten sie eine im großen und ganzen zutreffende Einschätzung meiner Vorstellungen.
    Gewiß hatten die Sowjets noch präzisere Bilder von meinem Amtsvorgänger Willy Brandt, von dessen Außenminister Walter Scheel und von Brandts Unterhändler, dem damaligen Staatssekretär Egon Bahr. Daß Scheel in das Amt des Bundespräsidenten aufrückte und Bahr in meinem ersten Kabinett Bundesminister wurde, mögen sie als Zeichen deutscher Kontinuität gesehen haben. Das Ausscheiden Brandts gab ihnen gleichwohl ein politisches Rätsel auf, zumal sie den neuen Außenminister Hans-Dietrich Genscher kaum kannten.
    Einer der entscheidenden Faktoren für die Bonner Ostpolitik war seit 1969 der sozialdemokratische Fraktionsvorsitzende Herbert Wehner; dreizehn Jahre lang hat er sich, in Übereinstimmung mit seinem freidemokratischen Kollegen Wolfgang Mischnick und engstens assistiert von seinem außenpolitischen Mitarbeiter, meinem Freunde Eugen Selbmann, für den stetigen Fortgang der deutschen Ostpolitik eingesetzt. Besonders an unserer Politik gegenüber Moskau und Ost-Berlin hat Wehner einen hohen Anteil, den allerdings weder die Sowjets noch die öffentliche Meinung in Deutschland in vollem Umfang erkennen konnten.

    Am 21. und 22. August 1969 führte die Spitze der SPD-Bundestagsfraktion in Moskau sondierende Gespräche über die Möglichkeit einer Normalisierung des Verhältnisses zwischen den beiden Staaten.
    Von links: Helmut Schmidt, Alex Möller und Egon Franke. Rechts der damalige Moskaukorrespondent der ARD, Lothar Loewe.

    Abb 10 Am Nachmittag des 21. August wurde die Delegation von Außenminister Gromyko empfangen.
    Von links: Möller, Selbmann, Schmidt, der Dolmetscher, Gromyko.

    Herbert Wehner war als Politiker eine unerhörte Allroundbegabung. Jean Monnet, Henry Kissinger, später Erich Honecker und manch anderer Beobachter der deutschen Politik haben das verstanden. Er hatte als ehemaliger deutscher Kommunist nach 1933 in Moskau unter der stalinistischen Ära sehr gelitten, hatte sich losgesagt und war nach 1945 – von Kurt Schumacher mit großem Vertrauen empfangen – als Sozialdemokrat nach Deutschland zurückgekehrt. Ich habe ihn 1946 als Redakteur des »Hamburger Echos« kennengelernt und bin ihm von 1953 an im Bonner Parlament täglich begegnet. Er war es, der im Juni 1960 – nach geistiger Vorbereitung durch Fritz Erler, Carlo Schmid, durch ihn selbst und andere – die außenpolitischen Vorstellungen meiner Partei endgültig auf den Boden der inzwischen vollzogenen Tatsachen stellte: Nordatlantikpakt, Europäische Gemeinschaft, Bundeswehr.
    Wehners innere Bindung an die Werte des Westens, an die Werte der
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