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Menschen und Maechte

Menschen und Maechte

Titel: Menschen und Maechte
Autoren: Helmut Schmidt
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oder Kommandeur gehabt. Wohl aber war ich zum Patrioten erzogen worden.
    Ich erinnerte Breschnew an jene Offiziere, die einerseits als Patrioten gegen den Feind, andererseits aber gegen Hitler gekämpft hatten, bereit zum Hochverrat, nicht aber zum Landesverrat. Ich sprach vom Sterben in den zerbombten Städten, vom Elend auf der Flucht und während der Vertreibung; davon, daß wir an der Front oft wochenlang nicht wußten, ob unsere Eltern, Frauen und Kinder zu Hause noch lebten. Während wir nachts Hitler und den Krieg verfluchten, erfüllten wir tagsüber als Soldaten unsere Pflicht. Ich machte unseren sowjetischen Gästen die Schizophrenie deutlich, in der wir jungen deutschen Soldaten den Krieg durchgestanden und durchlitten hatten.

    Handschriftliche Notiz Breschnews während seines Bonner Besuches im Mai 1973; Breschnew bittet den Finanzminister Helmut Schmidt um »Bewilligung zusätzlicher Mittel, damit wir weitertrinken können«.

    Ob dies alles für Breschnew neu war, habe ich nicht erkennen können; wohl aber konnte ich sehen, daß er seinerseits aufmerksam zuhörte. Wahrscheinlich hat jener Austausch bitterer Kriegserinnerungen wesentlich zu dem gegenseitigen Respekt beigetragen, der unser Verhältnis in den Jahren zwischen 1974, dem Jahr meines ersten Besuches bei ihm, und 1982 gekennzeichnet hat, dem Jahr seines Todes und meines Ausscheidens aus dem Amt des Bundeskanzlers. In diesen acht Jahren sind wir noch zwei- oder dreimal auf jenes erste Gespräch im Mai 1973 zurückgekommen. Als ich im Sommer 1980 während einer ziemlich dramatischen Begegnung im Kreml einmal die Bemerkung machte: »Herr Generalsekretär, ich habe Sie niemals belogen«, unterbrach Leonid Breschnew mich spontan, indem er einwarf: »Das ist wahr.«

    Zur Zeit der oben geschilderten Unterhaltung im Jahre 1973 hatte ich zwei Jahrzehnte Bundespolitik hinter mir; ich hatte mir als Abgeordneter des Bundestages, als Fraktionsvorsitzender und als Verteidigungsminister ein Bild von der Welt erarbeitet, das die historische Entwicklung Rußlands ebenso einschloß wie die gegenwärtige machtpolitische Rolle der Sowjetunion. Weder die im Jahre 1967 von der Atlantischen Allianz beschlossene doppelte Gesamtstrategie des Westens à la Harmel noch Richard Nixons Rüstungsbegrenzungspolitik gegenüber der Sowjetunion nach 1968 noch Willy Brandts Ostpolitik seit Beginn seiner Kanzlerschaft im Herbst 1969 waren für mich neuartige Überlegungen gewesen. Im Gegenteil: ich hatte schon lange ähnliche Vorstellungen vertreten – in Reden im Bundestag und auf Parteitagen meiner Partei, in zwei Büchern über Strategie und als Mitglied des Ministerrates des Nordatlantischen Bündnisses.
    Ich war seit langem ein überzeugter Verfechter der doppelten Notwendigkeit, sowohl die weitere Expansion der Sowjetunion durch gemeinsame Verteidigungsfähigkeit des Westens einzudämmen
als auch – auf der Basis der so hergestellten eigenen Sicherheit – mit der Sowjetunion zu kooperieren, und zwar nicht nur auf dem Felde der Rüstungsbegrenzung und des wirtschaftlichen Austausches, sondern hoffentlich eines Tages auch auf der kulturellen Ebene. Mit einem Wort: Ich vertrat eine Gesamtstrategie des Gleichgewichts und des Interessenausgleichs zwischen West und Ost.
    Als ich im Oktober 1974 im Rahmen einer Verabredung, die noch Brandt und Breschnew getroffen hatten, das erste Mal als Bundeskanzler die Hauptstadt der Sowjetunion besuchte, wird es in Moskau gewiß sorgfältig erarbeitete Dossiers über die Auffassungen des neuen Bundeskanzlers gegeben haben. Man hatte gewiß geprüft, wo und wann der junge Kriegsoffizier im Verband der ersten Panzerdivision 1941 und 1942 eingesetzt worden war und ob er sich dabei möglicherweise etwas hatte zuschulden kommen lassen. Man hatte gewiß Aufzeichnungen über einen privaten Urlaubsbesuch, den ich – zusammen mit meiner Frau Loki, meiner Tochter und meinem Mitarbeiter Wolfgang Schulz – im Sommer 1966 in Moskau und Leningrad gemacht hatte.
    Es war eine interessante Reise gewesen: Am Steuer meines Opel-Rekord, ausgestattet mit teuren Intourist-Gutscheinen, war es von Nürnberg über Prag, Breslau, Warschau nach den beiden russischen Metropolen und zurück über Helsinki gegangen, insgesamt 5000 Kilometer. Die sowjetischen Polizisten entlang der offiziellen Route notierten jeweils unser Eintreffen und berichteten umgehend telefonisch, was uns nicht verborgen blieb; sie haben sicherlich auch über die Gegenstände unseres
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