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Memoria

Memoria

Titel: Memoria
Autoren: Raymond Khoury
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vierjährigen Sohn Alex um, der im Garten hinter dem Haus spielte, und machte sich wieder daran, den Besteckkorb auszuräumen. Im Hintergrund beklagte der Leadsänger der Chilis gerade die düsteren Tage, die er an Flipperautomaten in den Spielhöllen von L. A. vertan hatte. Sie liebte dieses Lied mit dem eingängigen Gitarrenintro und dem epischen Schlussrefrain, trotz der Gefühle, die der Text in ihr weckte. Für sie als ehemalige DEA -Agentin war es eine Welt von Schmerz und Verzweiflung, die sie nur zu gut kannte. Aber noch mehr liebte sie im Augenblick, dass Tom sie so nannte –
alteza,
Hoheit. Das war so ganz und gar nicht sie, das war so weit von der Wirklichkeit entfernt, und die schiere Absurdität reizte sie immer wieder.
    Er sagte es meist, wenn sie ihn um etwas bat, was nicht sehr oft vorkam – dabei hielt sie sich selbst dazu an, es hin und wieder zu tun. Aber es gab einfach nicht viel, das Michelle Martinez nicht selbst tun konnte oder wollte. Sie war selbstgenügsam wie eine Soldatenfrau – ihre Mutter war eine gewesen, und wahrscheinlich hatte sich ihr diese Haltung eingeprägt in all den Jahren, in denen sie sie vor Augen gehabt hatte, während sie auf Militärbasen in Puerto Rico und New Jersey aufwuchs. Diese Selbstgenügsamkeit in Verbindung mit ihrem eisernen Willen und ihrem Abscheu gegen Heuchelei hatte sie in allerlei Schwierigkeiten gebracht – sie war von mehreren Schulen verwiesen worden, ehe sie am Ende selbst die Highschool abbrach –, aber dieselben Eigenschaften hatten ihr auch geholfen, ihren Weg zu finden, einen Schulabschluss zu machen und ihr unbezähmbares Temperament, ihre scharfe Zunge wie auch eine Reihe kleinerer Konflikte mit dem Gesetz in eine steile, allerdings abrupt beendete Karriere als Undercover-Agentin für die Drug Enforcement Administration umzusetzen.
    Das Problem war, Jungs mochten es nicht, wenn sie das Gefühl hatten, nicht gebraucht zu werden. Wenigstens sagten ihre Freundinnen das immer. Anscheinend war es ein Überbleibsel aus der Zeit der Jäger und Sammler, und Michelle musste zugeben, dass ihre Freundinnen nicht ganz unrecht zu haben schienen. Tom gefiel es offenbar, wenn sie ihn hin und wieder um etwas bat, sei es etwas so Belangloses wie das Öffnen der Haustür oder etwas, nun, Intimeres. Und daraus war der Spitzname
alteza
entstanden, den sie mittlerweile so liebte und den diversen Macho-Namen, die sie als Agentin von ihren Kollegen bekommen hatte, bei weitem vorzog.
Alteza
hatte einen viel angenehmeren Klang und einen altmodischen, romantischen Beigeschmack. Jedes Mal, wenn Tom es zu ihr sagte, musste sie ein wenig schmunzeln.
    Diesmal hielt das Schmunzeln nicht lange an.
    Als der Refrain verstummte und die Schlussakkorde der Sologitarre ertönten, hörte sie etwas sehr viel weniger Angenehmes.
    Es war nicht Toms Stimme. Es war etwas anderes.
    Zwei scharfe, metallische Laute wie von einer Nagelpistole. Doch Michelle war klar, dass es keine Nagelpistole war. Sie hatte in ihrem Leben genug Schüsse aus schallgedämpften Handfeuerwaffen gehört, um zu wissen, wie eine echte Automatikpistole klang.
    Die Sorte, mit der man Kugeln abfeuerte, die Menschen töteten.
    Tom.
    Sie schrie seinen Namen. Gleichzeitig trat sie in Aktion, getrieben von Instinkt und Training, fast ohne nachzudenken, als hätte die tödliche Bedrohung in ihr eine Art Reflex ausgelöst, der ihren Körper steuerte. Mit einem Blick fand sie inmitten all des Bestecks das große Küchenmesser, und im nächsten Moment hatte sie es fest in der Hand, umrundete die Arbeitstheke und stürzte zur Küchentür.
    Sie erreichte sie im selben Moment, als eine Gestalt im Rahmen erschien, ein Mann in weißem Overall mit schwarzer Mütze und einer schwarzen Skimaske, die sein Gesicht von der Nase abwärts verbarg. In der Hand hielt er eine Pistole mit Schalldämpfer. In dem Sekundenbruchteil, den sie ihm gegenüberstand, registrierte Michelle vage ein paar Merkmale – stämmig, unreine Haut, anscheinend Bürstenhaarschnitt, aber am auffallendsten waren die Augen. Sie blickten unbeirrbar, ganz auf die Sache konzentriert. Michelle nutzte das Überraschungsmoment – sie und der Eindringling wären um ein Haar zusammengeprallt – und stürzte sich auf ihn. Während sie mit der Linken die Hand mit der Pistole wegstieß, rammte sie mit der Rechten das Messer seitlich in den Hals des Mannes. Seine Augen weiteten sich im Schock. Die Klinge hatte ihm die Skimaske heruntergerissen, und sein
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