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Memoiren 1945 - 1987

Memoiren 1945 - 1987

Titel: Memoiren 1945 - 1987
Autoren: Leni Riefenstahl
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eingeschüchtert, aber freundlich. Sie gaben mir zu essen und versuchten, mich zu beruhigen. Schon am nächsten Morgen wurde ich abgeholt und in ein Gebäude gebracht, auf dem die französische Fahne wehte. Es war die Dienststelle des gefürchteten «Deuxième Bureau».
      Man brachte mich in eine Dachkammer. Ich legte mich auf eine dort stehende Pritsche. Meine Schmerzen machten sich wieder bemerkbar. Auch hatte ich Angst, was auf mich zukommen würde. Nach einigen Stunden wurde ich geholt und in einen unteren Raum geführt, in dem mehrere Franzosen in Uniform an einer längeren Tafel saßen und ihre Mahlzeit einnahmen. Ich mußte mich dazu setzen und zuschauen, wie die Soldaten ihr Mittagessen verzehrten. Zu essen bekam ich nichts. Schlimmer aber war, daß ich trotz meiner Bitte auch nichts zu trinken erhielt. Dann wurde ich wieder auf den Dachboden gebracht, und am Abend und am nächsten Tag wiederholte sich dieselbe brutale Prozedur. Das Hungergefühl war erträglich, aber der Durst quälte mich wahnsinnig.
      Erst am übernächsten Morgen endete diese Folter. Ich bekam eine Tasse Tee und ein Stück Brot. Dann führte man mich in ein kleines Zimmer, in dem ein Mädchen auf einer Schreibmaschine tippte. Sie würdigte mich keines Blickes. Nach mir endlos erscheinender Zeit kam ein uniformierter Franzose und übergab mir ein Schriftstück in französischer Sprache. Ich überflog es zitternd. Es war eine Anordnung des Chefs der «Sureté LT, Colonel Andrieu». Im Text stand, ich müßte innerhalb vierundzwanzig Stunden, bis zum Abend des 4. August, die französische Zone verlassen. Mir wurde erlaubt, mein persönliches Eigentum, mein Geld und meinen Film «Tiefland» mitzunehmen, ebenso alle Filme, die ich vor 1933 gemacht hatte.
      Über diese Entscheidung, die ich nicht erwartet hatte, atmete ich auf. Fieberhaft arbeiteten meine Gedanken. Was mußte ich tun, um das alles noch zu schaffen. Mein Mann und Medenbach befanden sich in Bad Gastein. Die Filme und Gegenstände mußten verpackt werden, das Geld von der Bank geholt und eine Transportmöglichkeit gefunden werden, um noch rechtzeitig vor dem nächsten Abend alles über die Grenze zu bringen.
      Ich wollte mich bei LT. Colonel Andrieu verabschieden und bedanken, wurde aber nicht vorgelassen. Man brachte mich auf die Straße und ließ mich dort grußlos stehen. Als ich im Zug nach Kitzbühel saß, überfielen mich wieder so heftige Koliken, daß ich das Abteil ohne Hilfe nicht verlassen konnte. Mitreisende halfen mir und verständigten vom Bahnhof aus das kleine Kitzbüheler Krankenhaus. Dort wurde ich in ein Einzelzimmer gelegt und bekam von Dr. von Hohenbalken, dem Leiter des Krankenhauses, einige Spritzen. Als die Schmerzen nachließen, konnte ich mich etwas im Bett aufrichten und durch das Fenster schauen. Erschrokken sah ich, daß das Hospital von mehreren französischen Polizisten bewacht wurde. Was hatte das zu bedeuten? Ich hatte doch erst vor wenigen Stunden meine Ausweisung aus der französischen Zone erhalten, aber anscheinend war ich wieder eine Gefangene.
      Der Arzt betrat mein Zimmer. Er sagte, ein französischer Offizier möchte mich dringend sprechen. Ich wehrte ab. In diesem Zustand wollte ich niemand sehen, mir war elend zu Mute. Aber der Franzose kam einfach ins Zimmer, trat an mein Bett, umarmte mich und sagte schwärmerisch: «Leni, mon ange, nous sommes très heureux!» Verwirrt sah ich ihn an. Es war ein junger, gutaussehender Mann, der sich als François Girard und Offizier der französi
    schen Film-Division Paris vorstellte.
      «Wissen Sie nicht, daß ich bis morgen abend die französische Zone verlassen muß?»
      «Oui — ich weiß», sagte er. «Aber Sie dürfen nicht fortgehen, wir dürfen Sie nicht verlieren, gehen Sie nicht zu den Amerikanern. Sie müssen bei uns bleiben.»
      Das war doch zum Verrücktwerden. Ich zeigte ihm das Dokument des LT. Colonel Andrieu. Er überflog es und sagte: «Ich kenne es, aber das ist die Sureté, die haben keine Ahnung von Filmen. Die wissen gar nicht, was sie anrichten, wenn man Sie mit Ihrem ‹Tiefland›-Film den Amerikanern überläßt. Ich unterstehe nicht der Sureté, sondern dem General Bethouart, dem Chef der französischen Militärregierung in Österreich, und in dessen Auftrag bin ich hier.»
      Ich war ratlos. Wer hatte da die höchste Entscheidung, die «Sureté» oder die «Militärregierung»? Wem sollte ich glauben? Meine Freiheit stand auf dem Spiel. Girard
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