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Memoiren 1945 - 1987

Memoiren 1945 - 1987

Titel: Memoiren 1945 - 1987
Autoren: Leni Riefenstahl
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einige Zeit zusammengerollt auf dem Fußboden und versuchte, meine Krämpfe zu verbergen. Da hörte ich neben mir Stimmen.
      Irgendwelche Leute beugten sich über mich, dann muß ich das Bewußtsein verloren haben. Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich in einem kleinen Raum. Auf dem Boden lag ein Strohsack, und vor mir stand ein junger Mann in Zivil, der Gefängnisarzt. Er gab mir einige Tabletten und ein Glas Wasser. Dann legte ich mich auf den Strohsack und schlief ein. Als ich wieder erwachte, versuchte ich mich an den gestrigen Tag zu erinnern. Nach der gewaltsamen Trennung von meinem Mann sah ich nur Bilder wie aus Nebelfetzen. In der Zelle, in der ich jetzt lag, war außer dem Strohsack nur noch ein Gestell mit einer Waschschüssel.
      Apathisch lag ich da. Es war mir gleichgültig, was sie mit mir machen würden. Auch das Essen rührte ich nicht an. Erst als der Arzt hereinkam und sich nach meinem Befinden erkundigte, wagte ich einige Fragen: «Wo bin ich und warum bin ich hier?»
      «Sie befinden sich in der Krankenabteilung des Innsbrucker Frauengefängnisses. Leider haben wir noch keine besseren Räume für Ihre Unterbringung. Es tut mir leid, ich bin aber nur der Gefängnisarzt. Wenn Sie mich brauchen, ich heiße Dr. Lindner.»
      «Es kann doch nur ein Irrtum sein, daß ich hierhergebracht wurde», sagte ich.
      Der Arzt unterbrach mich: «Wir haben keinerlei Einfluß auf die Anordnungen der Besatzungsmacht. Sie wurden im Auftrag der ‹Sureté› auf höchsten Befehl hier eingeliefert.»
      «Und mein Mann? Was geschieht mit ihm?»
      Der Arzt zuckte die Achseln. Hinter ihm stand ein französischer Wachposten.
      «Kommen Sie mit», sagte Dr. Lindner, «die Toilette ist außerhalb Ihrer Zelle. Gewöhnen Sie sich daran, daß ein Wachposten Sie dorthin begleiten wird.»
      Ich glaube, es waren zwei bis drei Wochen vergangen, als mich der Wachposten einen Augenblick mit dem Arzt allein ließ. Ich bat ihn, Major Medenbach im Lazarett in Gastein zu verständigen, daß mein Mann sich im Innsbrucker Gefängnis befände. Er nickte mir zu. Schon nach wenigen Tagen wurde meine Zellentür etwas geöffnet, und ich erkannte in dem Türspalt Medenbach.
      Die Hand durfte ich ihm nicht geben, er sagte: «Leni, Peter ist frei, ich habe ihn aus dem Gefängnis holen können, dich noch nicht, aber hab Geduld — auch du wirst hier rauskommen. Unglücklicherweise muß ich morgen in die USA zurück. Peter hat meine Adresse, wir bleiben in Verbindung — bleib tapfer — good bye.» Ein Glück. Wenigstens war Peter nicht mehr im Gefängnis, vielleicht sogar in Freiheit?
      Von all den Erlebnissen nach dem Krieg gehören die Wochen im Innsbrucker Gefängnis zu den düstersten. Außer meinem Gang zur Toilette konnte ich kein einziges Mal die Zelle verlassen. Ich dämmerte auf meinem Strohsack dahin, ohne Hoffnung. Auch hatte ich keine Verbindung zu anderen Gefangenen. Außer dem Arzt, der immer von einem Wachposten begleitet wurde, war der Gefängniswärter, der das Essen in die Zelle brachte, die einzige Person, mit der ich sprechen konnte. Ein Mann von schwer bestimmbarem Alter, häßlich und mit auffallend abstehenden Ohren und einem merkwürdig verschwommenen Blick. Seine kleinen grauen Augen waren ausdruckslos. Dieser Mann glotzte mich immer an, wenn er das Essen brachte. Eines Tages sagte er: «Heute ist schon wieder einer aus dem Fenster gesprungen, ein bekannter Schauspieler aus Wien. Es ist schon der dritte.»
      «Wissen Sie seinen Namen?» fragte ich, aus meiner Lethargie erwachend. Der Mann zuckte nur mit den Achseln.
      Einmal sagte ich zu ihm, ich möchte sterben. Die Schmerzen waren nicht mehr auszuhalten, und mein Lebenswille war gebrochen. Der Wärter schmuggelte mir eines Tages eine Broschüre in die Zelle, in der alle Arten von Selbstmord aufs genaueste beschrieben waren. Ich las, daß Tabak oder Zigaretten, wenn sie längere Zeit in Alkohol lägen, Pilze produzieren, mit denen man sich ver giften kann. Ich hatte weder Tabak noch Zigaretten. Mein Wunsch zu sterben wuchs täglich, und ich bedrängte den Wärter, mir irgendein Gift zu bringen. Er hatte mir erzählt, der Giftschrank wäre manchmal geöffnet. Die Belohnung, die er sich für diesen makabren Dienst erbat, war grotesk, nur ein Geisteskranker konnte sich so etwas ausdenken. Er sagte mit ernster Miene: «Ich bringe Ihnen das Gift, aber nur, wenn Sie mit mir, bevor Sie es schlucken, in dieser Zelle einen Tango
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