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Memo von Meena (German Edition)

Memo von Meena (German Edition)

Titel: Memo von Meena (German Edition)
Autoren: Nancy Salchow
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Schreib einfach wie sie! Wenn ich es mir lange genug einrede, wird es vielleicht sogar leicht. Irgendwann.
    Was mich viel mehr irritiert, ist die Tatsache, dass mir ihre Stimme nicht aus dem Sinn geht. Wenn ich mir das kleine Bild von ihr neben der Überschrift ihrer Kolumne anschaue, will es irgendwie nicht so recht zu der Frau passen, die das Diktiergerät in Schwindelerregender Geschwindigkeit füllt. Sie wirkt so unschuldig auf diesem Bild, beinahe unscheinbar. Kurzes dunkles Haar. Große, hellblaue Augen. Schön im allgemeinen Sinne und trotzdem eher unauffällig. Irgendwie brav. Seltsame Umschreibung, die so gar nicht zu der Stimme auf dem Band passt. Sie redet. Und WIE sie redet. Ununterbrochen. Ohne Punkt und Komma. Als müsste sie sich selbst irgendetwas beweisen. Sich selbst von etwas überzeugen oder sich gegen den Rest der Welt auflehnen. Vielleicht ist das ihre ganz eigene Art, sich aufzuregen. Womit wir wieder beim Thema Jammern wären. Ich sollte anfangen zu schreiben. Ganz dringend. Irgendetwas wird mir schon einfallen.
     
     
    *
     
     
    Meenas Blick aus dem Fenster
    Heute: Wenn man das Jammern bezahlt bekäme
     
    Neulich stand ich an der Supermarktkasse und wartete darauf, dass die Frau vor mir der scheinbar völlig unerwarteten Aufforderung nachkommt, die Waren auf dem Laufband zu bezahlen. Nervös suchte sie in den endlosen Tiefen ihrer Handtasche nach ihrem Portmonee, erwiderte hin und wieder mit schweißgebadeter Stirn den ungeduldigen Blick der Kassiererin, bis sie schließlich fündig wurde und nach und nach einzelne Scheine und Münzen in die kleine Schale legte.
    Während die Frau sich bemühte, den Betrag auch noch passend zu zahlen, nahm ich hinter mir das erste genervte Stöhnen war. Im Augenwinkel sah ich eine Frau, etwa in meinem Alter, die nervös ihre zwei Milchtüten auf dem Laufband hin und her schob, in der Hoffnung, auf diese Weise ihre Eile zu signalisieren. Die männliche Hälfte des Pärchens hinter ihr gab sich schon wesentlich weniger Mühe, die Anspannung zu verbergen. "Wird das heute noch was? Hier wollen auch andere irgendwann noch mal drankommen", schimpfte er aus dem Hintergrund. Die Münzenfrau zuckte zusammen, ohne seine Bemerkung zu kommentieren. Als die Kassiererin endlich die zu bezahlende Summe gezählt hatte, reichte sie der Kundin den Kassenbon und verabschiedete sich mit einem aufgesetzten, aber bemüht freundlichen Lächeln.
    Die Münzenfrau schob ihren Einkaufswagen aus dem Supermarkt, während ich mit den restlichen, noch immer schimpfenden Kunden zurückblieb. "Unmöglich so was", keifte nun auch die Milchtütenfrau.
    Noch lange nachdem ich meinen Einkauf bezahlt, im Kofferraum verstaut hatte und bereits auf dem Heimweg war, wollte mir dieses eigentlich unwichtige Ereignis nicht aus dem Kopf gehen. Ständig fällt mir auf, dass sich irgendjemand über irgendetwas oder irgendjemanden aufregt. Und während ich feststelle, dass das Meckern und Jammern scheinbar zum Volkshobby mutiert ist, frage ich mich immer wieder: Warum rege ich mich eigentlich so selten auf? Warum interessiert es mich so wenig, welcher Politiker wieder welchen Mist verzapft hat? Und macht mich diese Unfähigkeit des Jammerns vielleicht sogar zu einer gleichgültigen Person?
    Wann immer diese Frage in mir wach wird, rede ich mir ein, dass ich meine Energie nur einfach viel lieber in schönere Dinge investiere. Der Vorfreude auf die Lasagne zum Beispiel, die ich mir heute Abend bei meinem Lieblingsitaliener gönnen werde. Oder der Feststellung, dass der neue Roman meines Lieblingsautors schon im Herbst erscheinen wird. In solchen Momenten werden Gedanken an die Frau im Supermarkt sehr blass und ich merke einmal mehr, dass ich einfach nicht für das Meckern geschaffen bin. Ich rege mich eben einfach sehr ungern auf. Weder über zu hohe Käsepreise noch über die lange Schlange an der Kasse. Noch nicht mal das Wetter reicht bei mir zu mehr als einem Schulterzucken. Solange ich die Möglichkeit habe, einen kleinen Teil der Welt an meinen Gedanken teilhaben zu lassen, genügend Essen im Kühlschrank habe und ausreichend Freunde in meinem Adressbuch, geht es mir gut. Möglicherweise wäre es etwas anderes, wenn man das Jammern bezahlt bekäme. Aber darüber mache ich mir vielleicht in der nächsten Kolumne Gedanken.
    Bis dahin sende ich Ihnen unaufgeregte Grüße
    Ihre Meena Teske
     
     
    *
     
     
    Oliver
     
    Meine Chefin und ich sind jetzt per Du. Sie hat es mir großzügig angeboten,
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