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Meistererzählungen

Meistererzählungen

Titel: Meistererzählungen
Autoren: Hermann Hesse
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Geschöpfen, geachteten und zweifelhaften Existenzen, mit Schreibern, Handlungsgehilfen, Missionsanwärtern, Fri seuren, Pfarrerstöchtern und Gerichtsvollzieherwit-wen, Ver einsausfl ügen, Schüt zenfesten und Schmieren-theater … mit Griff in die Portokasse, Entgleisung und Selbstmord. Auch mit aller gegenseitigen Belauerung, Verlästerung, mit Bos
    heit, Klatschsucht, säuerlicher
    Selbstgerechtigkeit und grau samem Unverständnis …
    Menschen, Eigengewächse leben hier noch mit ungehetzter, ausführlicher Selbständigkeit ihr unverwech-selbares, wesentliches Einzelschicksal. Das kann harmo-nisch mit dem subalternen Alltagsglück einer Verlo bung enden, aber auch im Gefängnis … auch mit dem Ver lust des seelischen Gleichgewichtes und völliger Verzweif-573
    lung an dem Sinn des Daseins. Denn die Himmel und Höllen dieser kleinen Welt sind nicht weniger hoch und tief als die Gipfel und Abgründe anspruchsvollerer Zonen. Und die Tragödien und Komödien des Lebens haben allenthalben ihre dunkle Glut, ihr vielfältiges Funkeln, ihre immerwäh rende Bedeutung, ihre Würde und Wirklichkeit, wenn ein echter Dichter sie aufzuspüren und zu gestalten weiß.«
    Von den bisher charakterisierten Erzählungen enthält un sere Auswahl sechs Beispiele: den Calwer Rückblick
    ›Aus Kinderzeiten‹, entstanden 1903 oder 1904; die wenig später geschriebene Geschichte ›Heumond‹, eine der Lieblingser zählungen Kurt Tucholskys, vom erwachen-den Interesse am anderen Geschlecht, worin ein frühes Erlebnis Hesses in Bad Boll verarbeitet ist; ›Das Nachtpfauenauge‹ (1911), eine Er innerung an eine Begebenheit aus seinem zehnten Lebens jahr; ›Der Zyklon‹, entstanden 1913, greift zurück in die Zeit um 1895, als Hesse Volontär in einer Turmuhrenwerkstatt war. Ganz am Ende dieser ersten erzählerischen Entwick lungsphase steht
    ›Kinderseele‹, eine Erinnerung an die Ge wissensqualen und Autoritätserfahrungen des damals Zwölfj ährigen nach einem Diebstahl. »Diese Erzählung ist großar tig, ihre Psychologie von äußerster Subtilität«, urteilte kürzlich Alexander Mitscherlich. Mit ihr und dem im selben Jahr erschienenen Roman ›Demian‹ (1919) war für Hesse die Th
    ematik der kleinen Welt von Gerbersau (vgl. seine 574
    Bücher ›Hermann Lauscher‹ 1901; ›Unterm Rad‹, 1906;
    ›Diesseits‹, 1907; ›Nachbarn‹, 1908; ›Umwege‹ 1912;
    ›Knulp‹, 1915; ›Schön ist die Jugend‹, 1916) auf Jahrzehnte abgeschlossen. Erst der Siebzigjährige wird erneut die Notwendigkeit emp fi nden, sich früheste Kindheits-situationen zu vergegenwärti gen. Ein Beispiel solcher Altersprosa ist die letzte Erzählung unserer Auswahl
    ›Der Bettler‹ (1948), die sogar zurückreicht in die Basler Jahre, als Hesse zwischen fünf und sieben Jahre alt war, d. h. jünger als zu seiner Calwer Zeit.
    Wären die unterschiedlichen Gattungen von Hesses Er zählungen in unserer Auswahl genau proportional vertreten, dann hätten etwa doppelt so viele Texte des
    ›Gerbersau-Typus‹ in diesen Band aufgenommen werden müssen, da sie mehr als die Hälfte des gesamten erzählerischen Werkes aus machen. Unser Querschnitt setzt andere Akzente. Er läßt gerade die Erzählungen stärker zu Wort kommen, die durch ›Gerbersau‹ jahrzehntelang nahezu verdeckt waren; Erzäh lungen, wie sie Hesse immer dann schreiben konnte, wenn die Auf-arbeitung des Vergangenen den Blick freigelegt hatte für Gegenwärtiges oder Zukünftiges. Sie zeigen, daß auch für Hesse die Wirklichkeit immer unerschöpfl icher war als alle Phantasie. Daher schildern und variieren sie Beobach tungen und Erlebnisse aus seinem Alltag, am off ensichtlich sten die Humoreske vom ›Autorenabend‹, die in heiterer Re signation die kulturellen Ansprüche des Publikums und der zuständigen Behörden beleuch-575
    tet. Erlebt hat er diesen Auto renabend am 22. 4. 1912 in Saarbrücken (»und es ist alles wörtlich wahr«, schrieb er 1917 einem Leser, »Philisterhaus mit goldenem Stuhl und Papagei, Vorlesung im halbleeren Sälchen überm Riesensaal mit Bierkonzert und alles«.)
    Auch andere Texte schildern Eindrücke seines Alltags, so die in Schwabing spielende Erzählung ›Taedium vitae‹
    (1908), worin Hesse anhand einer Liebesgeschichte seine Er fahrungen mit der Boheme umschreibt. »Die Nichtraucherin‹ (1913), eine erst 1975 erstmals in Buchform gedruckte Geschichte, überliefert ein Reiseerlebnis mit dem befreunde ten Komponisten Othmar Schoeck. Seine
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