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Meistererzählungen

Meistererzählungen

Titel: Meistererzählungen
Autoren: Hermann Hesse
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und Flexi-bilität, war für ihn nichts Einmaliges, altersmäßig und biologisch Fixiertes, son dern geradezu eine Grunddis-position. Hesses gesamte Bio graphie und folglich auch seine schriftstellerische Entwick
    lung und Wirkung
    stand unter diesem Vorzeichen, das sein Freundund Verleger Peter Suhrkamp einmal so beschrieben hat: »Es gibt unter den lebenden Autoren kaum einen, der so oft seinen eigenen Leichnam hinter sich begrub und jedesmal auf einer anderen Stufe wieder neu anfi ng. Und jedesmal ge schah das aus einer wirklichen und ehrlichen Not heraus, und wenn man die ganze Existenz dann überblickt, ist sie doch eine Einheit geblieben.« Noch in seinem Alterswerk, dem ›Glasperlenspiel‹, wird Hesse dieses Gesetz gestalten, am eindringlichsten in dem vielzitierten Gedicht ›Stufen‹, das ein einziger Aufruf ist zu entschlossener und unbeirrba rer Evolution: »Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe / be reit zum Abschied 567
    sein und Neubeginne, / um sich in Tapfer keit und ohne Trauern / in andre, neue Bindungen zu geben. / Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, / der uns be schützt und der uns hilft zu leben. / Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten, / an keinem wie an einer Heimat hängen, / der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen, / er will uns Stuf ’ um Stufe heben, weiten. / Kaum sind wir hei misch einem Lebenskreise / und traulich eingewohnt, so droht Erschlaff en, / nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise, / mag lähmender Gewöhnung sich entraff en.« Die je weils von der jungen Generation ausgelösten Hesse-Renais
    sancen haben nicht zuletzt
    mit dieser, aller Weiterdiff eren zierung und Evolution off enen Haltung Hesses etwas zu tun.
    Die meisten der frühen Erzählungen spielen in seinem Ge burtsstädtchen Calw der späten achtziger und der neunziger Jahre. 1886 war sein Vater, der baltische Missionar Johannes Hesse, nach fünfj ähriger Tätigkeit in Basel als Herausgeber des Missionsmagazins zurück nach Calw berufen worden und bezog dort mit seiner Familie das Haus der Calwer Ver lagsanstalt. Hermann war damals gerade neun Jahre alt.
    Das ländliche Städtchen an der Nagold, auf der in jenen Jahren noch Flöße mit Schwarzwälder Tannenstämmen bis nach Holland und England befördert wurden, mit dem na hen Wald, den Mühlen, Brücken, Wehren und Schilfufern war ein in sich geschlossener Mikrokos-568
    mos, ebenso schwä bisch wie international, eine ›Kleine Welt‹, wie Hesse später seine Erzählungen über jene Jahre genannt hat. Bereits in dieser kleinen Welt standen den Flößern, den Händlern und Landstreichern die Seßhaften gegenüber, die bunte und vielgestaltige Sym-biose zwischen einer Landwirtschaft und Handwerk treibenden Bevölkerung. In diesem Kraftfeld und dem seiner übernationalen Herkunft wuchs Hesse auf. Ihm verdankt er eine Kindheit mit allen Möglichkeiten sinnlicher Entfaltung: Krebsfang im Fluß und Angeln mit Garn und ge bogener Nadel, Heuernte, Hopfenpfl ücken, Mostpressen, Kartoff elfeuer und Eislauf im Rhythmus der Jahreszeiten. Solche Elemente geben der Prosa Hesses ihre Kontur und Anschaulichkeit, ihre Farbe und Frische. Mit einer sonst nur der Malerei und der Musik eigenen sinnlichen Unmittelbar keit werden diese Bilder bei ihm auch durch das sonst so spröde Medium der Sprache vermittelt. Doch nicht nur die Bilder werden vermittelt, sondern etwas darüberhinaus, was man mit Kurt Tucholsky ihren ›Duft‹ bezeichnen könnte. Immer wird bei Hesse das Abbild zum Sinnbild.
    »Zum Glück«, schrieb er 1923 rückblickend, »habe ich das fürs Leben Unentbehrlichste und Wertvollste schon vor dem Beginn der Schuljahre kennengelernt, unterrichtet von Ap felbäumen, von Regen und Sonne, Fluß und Wäldern, Bie nen und Käfern … ich wußte Bescheid in unsrer Vaterstadt, in den Hühnerhöfen und in den Wäldern, in den Obstgärten und in den Werkstät-569
    ten der Handwerker. Ich kannte die Bäume, Vögel und Schmetterlinge, konnte Lieder singen und durch die Zähne pfeifen und sonst noch manches, was fürs Leben von Wert ist.«
    Freilich hatte man auch damals schon ganz andere Vor stellungen von dem, »was fürs Leben von Wert«
    sei. So konnte es nicht ausbleiben, daß Hesse bereits früh die Kluft zu spüren bekam zwischen selbständiger Erfahrung und den Verhaltensritualen der Konvention und der Umwelt. Ein Mißverhältnis, das Hesse zeit-lebens peinigen sollte und von dem man sagen kann, daß es sein Lebenswerk entscheidend geprägt, ja
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