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Meistererzählungen

Meistererzählungen

Titel: Meistererzählungen
Autoren: Hermann Hesse
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Landschaftsschilderungen von unübertreffl
    i cher Bild-
    haftigkeit das Verhalten der dargestellten Menschen.
    »Hesse kann«, so schrieb schon Kurt Tucholsky, »was nur wenige können. Er kann einen Sommerabend und ein er frischendes Schwimmbad und die schlaff e Müdigkeit nach körperlicher Anstrengung nicht nur schildern
    – das wäre nicht schwer. Aber er kann machen, daß uns heiß und kühl und müde ums Herz ist.«
    Nirgends in diesen Erzählungen wird einer Mission, einer Tendenz zuliebe dem Augenblick, der Gegenwart und ihren sinnlichen Qualitäten Gewalt angetan. Mit der Formel ›voll kommene Gegenwart‹ hat Hesse sogar den Begriff des Glücks defi niert. Und jederzeit konnte er sich mit der Forde rung Robert Walsers identifi zieren:
    »Ich will keine Zukunft, ich will eine Gegenwart. Eine Zukunft hat nur, wer keine Ge genwart hat, und hat man eine Gegenwart, vergißt man, an eine Zukunft überhaupt zu denken.« Erzählen ist für Hesse Vergegenwär-564
    tigen, »Festhalten des Vergänglichen und Ver gehenden im Wort, ein etwas donquichottehafter Kampf ge gen den Tod, gegen das Versinken und Vergessen.«
    Doch voll im gegenwärtigen Augenblick zu leben, erlaubt unsere Gesellschaft allenfalls noch den Kindern im Vor schulalter. Spätestens danach beginnen Dressur und Wettbe werb die Wahrnehmung zu kanalisieren.
    Aber »der Mensch, wie ihn die Natur erschaff t«, schrieb Hesse 1905 in seiner Erzählung ›Unterm Rad‹, »ist etwas Unberechenbares, Undurchsichtiges, Gefährliches.
    Er ist ein von unbekanntem Berge herbrechender Strom und ist ein Urwald ohne Weg und Ord nung. Und wie ein Urwald gelichtet und gereinigt und ge waltsam ein-geschränkt werden muß, so muß die Schule den natürlichen Menschen zerbrechen, besiegen und gewaltsam einschränken; ihre Aufgabe ist es, ihn nach obrigkeitli-cherseits gebilligten Grundsätzen zu einem nützlichen Gliede der Gesellschaft zu machen und die Eigenschaf-ten in ihm zu wecken, deren völlige Ausbildung alsdann die sorgfältige Zucht der Kaserne krönend beendigt.«
    Gegen solche, die freie Entfaltung der Persönlichkeit verkrüppelnde Zweckorientiertheit wird sich Hesse sein Leben lang wehren und immer wieder versuchen, die Sehnsucht nach der Alternative wachzuhalten, nicht nur mit dem Instrument karikierender Satire, sondern weit wirksamer mit dem so harmlos anmu tenden Mittel genauer Erinnerung an die seltenen Augen blicke der Freiheit, an die Kindheit, wo es noch möglich war, »alles 565
    irgend Erdenkliche gleichzeitig zu erleben, Außen und Innen spielend zu vertauschen, Zeit und Raum wie Kulissen zu verschieben«.
    »Hesse trinkt lieber an der Quelle als an der Mündung«, hat Franz Karl Ginzkey 1919 jenen Kritikern entgegengehal ten, die schon damals ein Interesse daran hatten, diese Alter nativen als nostalgisches Daumenlut-schen abzutun.
    Nahezu die Hälfte aller Erzählungen Hesses sind solche Erinnerungen an Kindheit und Schuljahre, an die Spannung zwischen Freiheit und erster Domestizie-rung, zwischen Ge meinschaft und Individuation, Neugierde und Tabus, in
    stinktiven und konventionellen
    Verhaltensmustern. Sie schil dern Begebenheiten, die in einem Alter erlebt wurden, in wel chem die Psychologie die nachhaltigsten und für die spätere Entwicklung der Persönlichkeit entscheidenden Engramme und Prägungen zu suchen gelernt hat. Hesse selbst hat es so formu-liert: »Der Mensch erlebt das, was ihm zukommt, nur in der Jugend in seiner ganzen Schärfe und Frische, so bis zum dreizehnten, vierzehnten Jahr, und davon zehrt er sein Leben lang.«
    Die ersten fünfzehn Jahre seiner schriftstellerischen Tätig keit könnte man geradezu ›à la recherche du temps perdu‹, als ein Aufarbeiten und peinlich genaues Rekonstruieren die ser frühen Erlebnisse bezeichnen. Erst nachdem sie gestaltet, aus den halbbewußt dämmernden Speichern der Vergangen heit befreit, ins Bild und 566
    Bewußtsein der Gegenwart über
    setzt waren, erwies
    sich die Basis als tragfähig genug für alle seine künftigen Entwicklungen und Metamorphosen. Im Ge spräch über Künstler und deren Verhältnis zur Tradition und zur eigenen Kindheit hat Hesse gerne auf das Beispiel des Baumes verwiesen, der, je höher er wächst, desto tiefere und fester verankerte Wurzeln treibt.
    Doch hat die intensive Beschäftigung mit Th
    emen
    der Pu bertät und Entwicklung bei Hesse noch andere Gründe. Pu bertät, also Notwendigkeit und Bereitschaft zu Wandlung, Veränderung, Diff erenzierung
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