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Meines Bruders Moerderin

Meines Bruders Moerderin

Titel: Meines Bruders Moerderin
Autoren: Irene Rodrian
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winzige Straße, fast noch auf der Fahrbahn ein langer Tisch mit Wein und Tapas. Alte Männer winkten ihnen zu, eine Frau brachte einen Teller mit gegrillten Sardinen ans Auto und lachte. Reimann nahm sich eine Hand voll. »Danke, Dolores, mein Tag ist gerettet«, er fuhr weiter. Er hatte Spanisch gesprochen. Akzentfrei, soweit Barbara das beurteilen konnte. War Reimann wirklich der, den El Pais interviewt hatte?
    Reimann fuhr langsam weiter, es wurde dunkler, er bog in den Carrer d'Andrea Doria ein. Die Straße der endgültigen Havarie. Aber Reimann bog wieder ab, und wieder. Eine kleine Gasse, dann waren sie wieder nah am Meer und ganz nah am Park. Blühende Yuccas und Palmen. Und Dunkelheit. Die Lichter und der Lärm des Feuerwerks schienen plötzlich sehr weit weg. Reimann parkte den Porsche unter einem offenen Carport vor einer etwa zwei Meter hohen Mauer aus Natursteinen. Barbara wollte die Beifahrertür öffnen, aber er ließ ihr keine Chance. Er kam ihr zuvor und packte sie am Arm, sobald sie ausgestiegen war. Der Zündschlüssel steckte noch. Er hatte ihn vergessen. Barbara schlug plötzlich um sich und versuchte, sich mit einem Ruck aus seinem Griff zu befreien, aber er hielt sie brutal fest und zog sie mit. Zu einem Tor in der Mauer. Das Schloss öffnete sich auf Tastendruck. Drei, sieben, drei. Innen nur eine Klinke. Dahinter lag ein kleiner Palmengarten, Kieswege, ein flaches Steingebäude mit Bogenfenstern. Früher war es vielleicht mal eine Fischhalle gewesen. Jetzt war das Gebäude entkernt und neu durchdesignt. Reimann gab ihr kaum Zeit zum Schauen, er zerrte sie mit hinein. Zwei rohe alte Ziegelmauern übers Eck, ein Flaschenzug ins Nichts, die Reste schwarzer Zahnräder vor schneeweißem Putz, sonst nur Glas, Stahl und Licht. Dunkles Holz und weißes Leder. Eine Reihe großformatiger Schwarzweiß-Fotos in schmalen Silberrahmen. Szenen aus Barcelona. Die Ramblas, Altstadtgassen, eine Nachtbar, ein Café ... Licht und Schatten dramaturgisch gekonnt eingesetzt. Auf jedem der Fotos war ein schönes dunkelhaariges Mädchen zu sehen. Im Profil, im Hintergrund, am Bildrand. Barbara glaubte für einen winzigen Moment, sich selbst in dem Mädchen zu erkennen. Zwei riesige Bilder von Kemíl Martín, einem der Stars der Kunstszene Barcelonas. Explosionen in Rot, Blau und Schwarz. Eine minimalistische Luxusküche, eine Bartheke mit den berühmten Hockern von Javier Mariscal, dahinter einer seiner Comicteppiche aus den achtziger Jahren, ein gläserner Tisch, schwarze Stühle mit weißem Ledergeflecht, zwei handgeschnitzte antike Kontorschränke und eine Spindeltreppe nach oben zu dem halb offenen Schlafzimmer unter dem Dach. Das ganze war eine Art Loft, Teil einer Fabrikhalle aus dem 19. Jahrhundert.
    Barbara war so beeindruckt, dass sie für einen Augenblick ihre Angst vergaß. Reimann klapperte hinter der Küchenbar mit Gläsern. Ein Korken knallte. »Champagner?« Er wartete die Antwort nicht ab, kam mit zwei vollen Gläsern wieder hervor. »Das gehörte früher zu der Lokfabrik. Sie wissen ja sicher, Barceloneta wurde damals für Fischer und die Arbeiter der Lokfabrik gebaut.«
    »Jedenfalls nicht für Millionäre und Playboys. Ich dachte, man hat alle alten Industrieanlagen abgerissen und den Park dafür angelegt.«
    »Hat man auch.« Er drückte ihr eins der Gläser in die Hand. »Kommen Sie, ich zeig's Ihnen.« Er ging voraus, die Spindeltreppe hinauf. Barbara versuchte, nicht zu dem gigantischen Bett hinzuschauen. Meerblaue Seidenbezüge. Über dem Kopfende ein kleiner Dalí. Gegenüber dem Fußende ein schmales Glasfenster mit einem Blick auf Palmen und das Meer dahinter. Die Treppe führte zu einer einfachen Stahltür. Reimann ließ ihr den Vortritt. Barbara versuchte cool zu bleiben, aber sie schaffte es nicht.
    Ein Flachdach von gut dreihundert Quadratmetern. Bougainvillea, Yuccas und Siempre Verde in Töpfen rundum am Rand. Terrassenmöbel aus Teak und Sonnenschirme. Direkt darunter der Park und gleich dahinter der Strand und das Meer. »Salud«, Reimann stieß mit seinem Glas gegen ihres.
    Sie trank einen Schluck und lächelte verkrampft. »Und was ist das für ein Gefühl, hier so als Millionär zwischen alten Fischern und Arbeitern zu leben?«
    »Ein gutes. Die Leute mögen mich.«
    Er grinste diesmal nicht, wirkte wieder ehrlich und überzeugend. Barbara musste intensiv gegen ihre widersprüchlichen Gefühle anarbeiten. »Und wie haben Sie das geschafft? So einen Superloft auszubauen inmitten
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