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Meines Bruders Moerderin

Meines Bruders Moerderin

Titel: Meines Bruders Moerderin
Autoren: Irene Rodrian
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lächelte großäugig, die kleine Graumaus aus der Provinz. »Ich suche meinen Mann. Martín. Er ist verschwunden. Hier!« Sie kramte ein verknicktes Foto hervor. Der Mann darauf war kaum zu erkennen, aber er sah alt aus und unscheinbar. Schütteres Haar, ein ursprünglich mal für einen Anzug gekauftes Streifenhemd offen über einem dicken Bauch und schlecht sitzende Bermudas an dürren, bleichen Beinen. Im Hintergrund unscharf ein paar staubige Mandelbäume und die Terrassenbrüstung eines Reihenhauses.
    Pia gab ihr Foto und Ausweis zurück. »Tut mir wirklich Leid, Señora Ribera, aber wir sind hier in Barcelona. Wenn Ihr Mann in Valencia verschwunden ist, müssen Sie ihn auch in Valencia als vermisst melden. Ich kann Ihnen hier leider nicht helfen.«
    »Ich liebe ihn!«
    »Das ist schön. Ich bin sicher, Ihr Mann wird sich wieder einfinden.« Pia beugte sich über ihren Computer, um der Frau klarzumachen, dass sie keine Zeit mehr hatte.
    »Er ist aber so oft in Barcelona. Könnten Sie da nicht mal hier nachsehen?«
    »Señora, Barcelona ist eine Millionenstadt. Gehen Sie zurück nach Valencia. Bitte. Versuchen Sie es weiter dort. Die Polizei in Valencia hat auch Computer. Wir sind alle vernetzt und verbunden.« Pia spürte das Kichern von Toni und Silvi mehr, als dass sie es hörte. Jaja. Sehr komisch, ihr so eine taube Nuss unterzujubeln.
    Ihr Telefon piepste, aus seinem Glasbüro winkte ihr Don Ignacio, Señor Sanchez-García zu. Der comandante , der Chef. El jefe . Ein latin lover wie im Kino. Mitte fünfzig, dunkles Haar mit grauen Schläfen und ein markantes Gesicht mit braunen Augen, vollen Lippen und einer Adlernase. Kaffeebraune Chinos und ein weißes Lacostehemd über haariger Männerbrust. Am Hals trug er ein kleines goldenes Kreuz wie ein Sizilianer.
    Pia nahm den Hörer ab.
    »Was ist jetzt mit dem Bericht?« Blaff.
    »Ich sitz gerade dran, wie Sie unschwer erkennen können. Jefe .«
    »In fünf Minuten hab ich alles auf meinem Tisch.«
    »Tut mir ja wirklich unendlich Leid, aber ich hab noch nicht mal den Autopsiebericht bekommen.«
    »Dann machen Sie eben Dampf, chica . Mir sitzt Don Esteban im Genick. In fünf Minuten!« Er knallte den Hörer auf. Das >Don< hatte nicht mal andeutungsweise ironisch geklungen. Und chica , Mädel. Toni oder einen der anderen männlichen Kollegen würde er nie chico nennen. Aber besser noch chica als Madrileña .
    Pia hörte sofort auf, überhaupt noch an dem Bericht zu arbeiten. Kippelte ihren Drehstuhl zurück und spürte Sanchez' Blicke durch Glas und Großraum hindurch. Across a crowded room . Sie verkniff sich jedes Grinsen. Ja, das war's, was ihre Mutter immer sagte. Pilar Juana Estel-Casares: Eine junge Frau hat nichts zu suchen in einem Männerberuf. Die einzigen Berufe, die sich für eine unverheiratete Frau von Stand schicken, sind kultureller oder karitativer Art. Du musst Bescheidenheit lernen, du musst lernen, dich unterzuordnen - an der Stelle kam immer der obligate Seufzer -, aber genauso gut könnte ich zu einer Mauer sprechen. Du bist so stur wie dein Vater.
    Pia hieß eigentlich auch Pilar. Aber den Namen hatte sie mit zwölf Jahren endgültig abgelegt. Sie hatte nie verstanden, warum ihre Eltern geheiratet hatten. Irgendwann vor Urzeiten musste da so etwas wie Liebe gewesen sein. Pilar Juana, die millionenschwere Schönheit aus dem franconahen Clan in Madrid und Anselmo, der kleine ehrgeizige Polizist. Die Señora und der Powerman. In den Jahren nach Francos Tod war vieles möglich. Nicht alles. Pilar wurde aus der Familie ausgestoßen, enterbt und vergessen. Sie gingen nach Barcelona, und Anselmo machte schnell Karriere, aber natürlich konnte er seiner Frau weder den gewohnten Status noch irgendeinen Luxus bieten.
    Für Pia war er der absolute Held, er stand für Demokratie und Gerechtigkeit. Sie widersetzte sich allen Versuchen der Mutter, sie zu einer Señora zu erziehen. Sie hasste dieses Leben und diese Gesellschaft, nach deren seit Jahrhunderten fest gefügten Regeln eine Frau nicht dieselben Rechte und Möglichkeiten hatte wie ein Mann.
    Als sie zwölf war, wurde ihr Vater bei einem Einsatz erschossen. Die Kollegen feierten ihn als Held, aber sie nannten ihn immer noch den Madrileño. Den Mann aus Madrid. Pia war zutiefst verletzt, wütend und empört. Die Mutter zog wieder zurück nach Madrid. Pia schmiss die Schule und wurde von diversen katholischen Internaten relegiert. Sie wollte wieder nach Barcelona und zur Polizei. Wegen schlechter
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