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Meineid

Meineid

Titel: Meineid
Autoren: Petra Hammesfahr
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Er begriff gar nicht, dass seine süße kleine Tessi so eine Behauptung locker aus dem Ärmel schüttelte. Da Herr Damner energisch bestritt, seiner Tochter auch nur ein Haar gekrümmt zu haben, was seine Frau, der halbwüchsige Joachim, die gesamte Nachbarschaft und Greta bestätigten, da Tess darüber hinaus auch keine Anzeichen von Misshandlungen aufwies, verlief die Angelegenheit im Sande. Aber sie hinterließ Spuren – bei Greta, nicht bei Familie Damner. Ihnen erzählte anschließend Greta die Geschichte von dem Jungen am Nebentisch, der jede Handschrift nachahmen konnte und sich einen Spaß daraus machte, kleine Mädchen zu ärgern. Dieser Junge hatte Tess, unbemerkt von der Lehrerin, das Heft weggenommen und die beiden Sätze hineingeschrieben. Herr Damner war erschüttert.
    «Warum hast du das denn nicht der Lehrerin gesagt, Tessi?»

    «Weil der Junge uns auf dem Heimweg auflauert und verprügelt, wenn wir ihn verpetzen, antwortete Greta. Tess schluchzte nur und stammelte:
    «Haust du mich jetzt, Vati?»
    Er schüttelte den Kopf und erklärte bestimmt:
    «Das geht aber nicht. Da muss man was unternehmen. Wie heißt der Junge?»
    Tess schluchzte lauter, rieb sich die Augen und erkundigte sich noch einmal:
    «Haust du mich wirklich nicht, Vati?»

    «Nein, versicherte Herr Damner. Und Greta antwortete mit fester Stimme:
    «Das möchte ich nicht sagen. Wenn Sie ihn bei der Lehrerin melden oder zu seinen Eltern gehen, wird das nur schlimmer. Am besten lässt man den Jungen in Ruhe. Dann tut er einem auch nichts.»
    Lügen! Greta hasste Lügen, hasste sie mehr als ihr krauses Haar, ihre vorstehenden Zähne und ihre Brille. Aber für Tess tat sie es das erste Mal. Allzu oft musste sie für Tess jedoch nicht lügen. Ihre Freundin wurde nach dem Theater etwas vorsichtiger. Sadistische Familienangehörige gab es lange Zeit nicht mehr. Es waren nur noch Außenstehende, die für die nötige Aufregung sorgten. Zum Beispiel ein Einbrecher, zwei oder drei Jahre später. Sie gingen bereits aufs Gymnasium, als die Familie Damner im Schlaf überfallen wurde. Mutter, Sohn und Tochter wurden in die Toilette gesperrt, Herr Damner mit Waffengewalt gezwungen, den Eindringling frühmorgens zur Bank zu begleiten, um das Ersparte abzuheben. An dem Tag fehlte Tess in der Schule. In dem Entschuldigungsschreiben, das sie am nächsten Morgen vorlegte, ging es nur um eine plötzlich erkrankte Großmutter, zu der man in der Nacht gerufen worden war. Frau Damners Mutter starb kurz darauf. Und vermutlich zehrte ihre Beerdigung die Ersparnisse auf, sodass es in dem Jahr nicht möglich war, dem Nesthäkchen ein paar Herzenswünsche zu erfüllen. Greta war die Einzige, der Tess offenbarte, dass ihr Vater sich viel zu sehr geschämt hatte, die Wahrheit einzugestehen. Weil er nicht in der Lage gewesen war, seine Familie zu schützen. Außerdem hatte der Einbrecher gedroht, zurückzukommen und alle umzubringen, falls der Überfall bekannt wurde. Zu diesem Zeitpunkt war es schon fast unmöglich, Tess zu widerlegen. Beim Einbrecher versuchte Greta es. Wenigstens ihr als der besten Freundin musste Tess die Wahrheit sagen, fand sie und fragte Frau Damner, als sie für einen Moment allein in der Küche waren. Und nur zu gut erinnerte sie sich an den entsetzten Ausdruck auf Frau Damners Gesicht und an ihr Stammeln:
    «Um Gottes willen, Greta, erzähl es keinem Menschen.»
    Das konnte ein Beweis für die Geschichte sein. Weil nun der Überfall bekannt war und man damit rechnen musste, dass der Bösewicht seine Drohung wahr machte. Ebenso gut konnte es Erschrecken über die blühende Phantasie des Töchterleins sein. Es ist anzunehmen, dass Tess sich daraufhin ein paar Ermahnungen anhören musste. Sie war einen ganzen Vormittag lang fürchterlich böse mit Greta.
    «Dir erzähl ich nie mehr was, wenn du deinen Mund nicht halten kannst.»
    Greta konnte, Tess nicht. Es ging schon bald weiter mit der nächsten Geschichte. Wie viele es waren im Lauf der Jahre, weiß niemand. Mit der Zeit wurden sie diffiziler, waren so mit Tatsachen verflochten, dass man sie nicht mehr durchschauen konnte. Es gab für Greta nur eine Möglichkeit, sich damit auseinander zu setzen: Alles, was Tess erzählte, zu einem Ohr herein- und zum anderen wieder hinauszulassen.
    «Du redest dich eines Tages um Kopf und Kragen, warnte Greta viel später manchmal, ließ es aber dabei bewenden. * Bis zum Abitur waren sie unzertrennlich. Einmal fuhr Tess sogar mit Familie Baresi in Urlaub
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