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Meine Väter

Meine Väter

Titel: Meine Väter
Autoren: Barbara Bronnen
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Märchen. Wenn sie nach einer Einladung zum Tee heimkam, diese Suffragette, ließ sie immer etwas aus dem Rock fallen, und wenn ihr Mann fragte: Was ist das?, habe sie geantwortet: Kekse, hab ich eingesteckt. Sehr sparsame Frau. Wenn Winterwetter war, glatt und kalt, wickelte sie sich die Scheuerlappen um die Füße und zog die Stiefel ihrer Söhne an, alle einsneunundneunzig und Schuhgröße sechsundvierzig aufwärts. Zimperlich war sie nicht. Sie rauchte täglich vierzehn Schweizer Zigarren, jede Stunde eine. Achtung, glühende Asche! rief dann meine Großmutter, und sie machte nur »Pfff!«. Pfff! machten dann auch wir, wie die Generalin, wenn sie Asche auf den Boden fallen ließ, denn die Geschichte kannten wir schon.
    Meine Großmutter hatte ein reich gefülltes Schleppnetz voller Geschichten, das sie durch ein Jahrhundert zerrte. Aus diesem Netz holte sie etwas heraus oder warf es zurück, je nachdem. Jedenfalls ist uns kaum etwas Wissenswertes aus ihrer Familie verlorengegangen. Es hatte etwas mit ihrer Achtung vor ihrer Familie zu tun. Es war ihre Einsicht, daß das Leben auch darin bestand, zu seinen Angehörigen zu stehen, und sie wußte, daß man manchmal Dinge tun mußte, die nur mit Härte und Disziplin zu erreichen waren.
    So war es weitergetragen worden von Generation zu Ge
neration, und so war sie erzogen worden, weiterzugeben. Klar umrissene Aufgaben, die sie damit verband. Heute hat Tante Emma Geburtstag, bitte schreib! Ria liegt im Krankenhaus, schau bitte vorbei! Onkel Paul hat den Fuß gebrochen, bring ihm sein Bier! Wir lebten mit ihr in einem ständigen Dialog, Austausch von einem zum anderen, das verfestigte unsere Beziehungen und wirkt bis heute in unseren Beziehungen fort.
    Sie schlüpft in die Kinderschuhe. In diesem geordneten System hält sie sich gerne auf, unter uralten Gespenstern. Geh in dein Zimmer. Sei still. Du hast zu schweigen, wenn Erwachsene reden.
    Das war nicht ohne Härte, aber es waren klare Verhältnisse. Ein abgeschotteter Raum, in dem sie sich sicher fühlte. Er gab Vertrauen und Schutz. Hier schien alles eindeutig, belegbar.
    Sie hält das lange Zeit für den besseren Teil ihrer Familie. Vergleicht. Schiebt den Anteil an Geschichte, den der Cousin ihres Großvaters, der Reichswehrbefehlshaber Generalleutnant Otto von Lossow hat, in den Hitlerputsch 1923 verwickelt, beiseite. Wie trübe, meint sie, sähe es dagegen bei ihrem Großvater väterlicherseits aus!
    Was soll das jetzt?
    Damit kommt sie nicht weiter.
    Ich öffne meinen Koffer, betrachte den ungeordneten Papierstapel und ziehe Großvaters Erinnerungen, die ich von meiner Tante Ellida erhielt, heraus.
    Bis kurz vor Krakau sitze ich über den Reliquien. Bruchstücke seines Lebens.
    Zu besonderer Zuversicht besteht kein Anlaß. Sein Leben liegt in weiter Ferne. Alles, was von Ferdinand Bronner noch übrig ist, ist Papier. Seine Bühnenstücke waren nicht von Dauer. Seine hinterlassenen Erinnerungen enden 1918.
Er starb drei Jahre nach Kriegsende, nur elf Jahre vor seinem Sohn Arnolt Bronnen.
    Seine Vergangenheit ist eine immer ferner rückende Anlegestelle.
    Mir ist nach Gesellschaft zumute.
    Ich sitze auf dem Liegebett, nehme einen zweiten Becher und schenke dem Großvater ein.
    Sollst leben, sage ich.
    Tut er aber nicht.
    Wuselt weiter in meinem Kopf herum.
    Alles, was sie hat, sind diese Papiere. Daß der Blick auf den Nachlaß die Person nicht preisgibt, sondern nur eine höchst unzureichende Ansicht von ihr vermittelt, neben der es ein Dutzend andere, ebenso unzuverlässige Blickwinkel gibt – dieser Gedanke hat doch nur Niederschmetterndes, ihr aber scheint er trotzdem zu gefallen.
    Schließlich hat sie noch ein Archiv besonderer Art: ihre Kombinationsgabe und Imagination.
    Vielleicht bergen diese Lebensschnipsel eine Wahrheit?
    Â 
    * * *

2. Reliquien
    Ich würde ja gern daran glauben, daß ich mehr als andere weiß, doch wenn ich ehrlich bin, war mir Großvaters Geschichte langweilig, ohne sie zu kennen.
    Mit einemmal bringt mich das in Rage. Ich habe das dichte Schweigen, das sich um den Großvater gebildet hat, akzeptiert und mich nicht mit ihm auseinandergesetzt. Nicht anders als meine Familie, lebte ich vorsichtig und verschlossen. So hat er sich nach und nach verflüchtigt, bleibt ungreifbar und nebelhaft.
    Wie achtlos ich mit diesem Menschen umgegangen bin.
    Ich will
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