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Meine Väter

Meine Väter

Titel: Meine Väter
Autoren: Barbara Bronnen
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abbrach, wenn ich ins Zimmer kam. Dieses betretene Schweigen. Diese schroff verweigerte Mitteilsamkeit. Die unterschwellige Herausforderung, die für mich darin lag. Mein mißtrauisches Ohrenspitzen im Dunkeln.
    Die abstrusen Signale häuften sich und fingen an, mich zu irritieren. Ohne es mir bewußt zu machen, sammelte ich Beweise für die Existenz des Großvaters in meinem Kopf. Die sichtbare Ablehnung der Großmutter mütterlicherseits gegen meinen Vater. Ihre feindselige Haltung, sobald er auftauchte. Wie sich ihr Blick verschloß. Die Haarnadeln, die sie sich wütend in die Kopfhaut rammte, wenn sie ihm gegenüberstand und ihren Dutt befestigte. Wie sie an ihrem Spitzenjabot zupfte und mit zornzitternden Fingern über ihren grauen Kostümrock strich. Der merkwürdige Gesichtsausdruck meines Vaters, als er einmal Zeuge eines Gesprächs zwischen den beiden Frauen wurde. Es schien, als wollte er etwas dazu sagen, das er sich sogleich verbot.
    Es ist ziemlich unvorsichtig, Kindern etwas vorzuenthalten. Ahnt doch selbst das unschuldigste kindliche Gemüt, daß es um etwas Wichtiges geht. Schließlich gibt es nichts Interessanteres und Spannenderes als das, was man nicht wissen soll.
    Ich erinnere mich noch gut an den Tag, als meine Mutter und meine Großmutter, beide in schwarzen Kleidern, ganz früh von Linz nach Goisern fuhren und erst am nächsten Tag zurückkamen. Die Großmutter war tags zuvor aus Niederbayern angereist, ein eigenhändig umgebrachtes Huhn und etwas Speck im Koffer. Ich war neun Jahre alt, hatte die erste Klasse Volksschule, die wegen der Bombenangriffe nur sporadisch stattgefunden hatte, wiederholt, ging in die zweite Klasse und kam gerade von der Schule.
    Nichts zu merken war unmöglich – ich konnte mich den Dingen nicht mehr entziehen. Die beiden Frauen wirkten niedergedrückt, ich wunderte mich über ihre Kleidung und fragte: Was ist? Deine arme Großmutter ist tot, sagte meine Großmutter hinter ihrem getupften schwarzen Schleier, und sie sagte es voll Hochmut, denn wir waren etwas Besseres, und meine Mutter stieß sie an. Tot? Aber du lebst doch noch, sagte ich. Deine andere Großmutter, sagte meine Großmutter und erklärte mir, daß es jene alte Frau gewesen sei, bei der wir einmal zusammen Haferflockenbrei gegessen hätten, die sähe jetzt die Radieschen von unten. Jetzt erinnerte ich mich an den Besuch, bei dem ich Fremdheit und Scheu empfunden hatte, ein gewisses Schaudern, wegen ihrer Blindheit. Ich fragte nicht weiter, denn auf die Idee, daß der alte Mann neben ihr, der jedes Spelzchen der Haferflocken sorgfältig an den Tellerrand gelegt hatte, mein Großvater gewesen sein konnte, kam ich nicht. Ich dachte nur, daß diese andere Oma irgendeinen Makel gehabt haben muß, eine Art Krankheit, daß sie plötzlich verschwand.
    Diese Erinnerung verstört mich. Also habe ich den Großvater damals gesehen. Ist es meinem Vater tatsächlich gelungen, den Großvater in meinem Kopf zu tilgen? Mein Gedächtnis kommt mir verlogen vor. Alles, was ich weiß, ist, daß er diese Spelzchen in gleichmäßigen Abständen wie kleine Soldaten am Tellerrand arrangierte.
    Auch was den Tag im Jahr 1948 betrifft, an dem mein Großvater tatsächlich starb, habe ich eine merkwürdige Gedächtnislücke. Was sagte man mir? War ich beim Begräbnis? War mein Vater dort? Meine Mutter?
    Nichts zu finden. Tiefste Finsternis. Keine Ahnung, und das ist schon sonderbar. Daß ich so achtlos war.
    Später fuhren wir mit unserer Mutter nach Goisern und
gingen zum Friedhof, der neben der Kirche lag. Auf einem granitenen Grabstein las ich: Martha und Dr. Ferdinand Bronner. Das enträtselte deren Existenz. Es hatte sie gegeben, meine anderen Großeltern, zwei grinsende Totenschädel, geheimnisvoll und schaurig.
    Endlich sagt ihr der Verstand, daß der Mensch zwei Großväter und zwei Großmütter hat.
    Ich wollte nicht mehr beschwiegen werden und fragte meine Mutter. Sie bekam ihre Babyaugen, aus ihrem geschürzten Mund kam Ungefähres, Halbgewußtes, Angedeutetes, Geahntes. Das Irgendwie und Irgendwo klebte wie Kaugummi zwischen ihren Zähnen. Nach einem heftigen Zusammenprall ließ ich es sein.
    Sie hat eine Entscheidung gefällt. Die Entscheidung, nicht klar zu sehen. Damit entstand zwischen ihrer Mutter und ihr eine diffuse Komplizenschaft, die sie absurderweise nicht
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