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Meine Väter

Meine Väter

Titel: Meine Väter
Autoren: Barbara Bronnen
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Mutter Martha schreiben ließ, um gegen die in der Öffentlichkeit verbreitete »Lüge« vorzugehen, er wäre jüdischen Bluts? Damals ging es ihm noch »nur« um seinen Ruf, zum Prozeß jedoch kam es nicht. Zehn, elf Jahre später aber wurde es ernst für Vater und Sohn. Beide wissen, was ihnen droht, wenn sie nichts unternehmen.
    Der Regen läuft mir in den Mantelkragen hinein, rinnt in kleinen Sturzbächen über die Beine. Ich halte inne, schließe den obersten Mantelknopf, laufe weiter, arbeite meine Frageliste ab.
    War Ferdinand bereits mit im Boot, als Martha den ersten Brief an den Sohn schrieb? Die Antwort muß Ja sein! Wer sonst als Ferdinand hätte ihr Arnolts Brief vorlesen, ihr beim Schreiben zur Hand gehen können?
    Und die Idee für den Mißbrauch im Schlaf, diesen somnambulen Zeugungsakt, einer Novelle von Heinrich von Kleist entliehen – wer machte sie Martha schmackhaft? Das ließ sich der Sohn in seinem allseits berüchtigten Zynismus einfallen, und den Vater sieht sie darüber ironisch schmunzeln. Wer von den braunen Rassenfanatikern würde schon das Kleistsche Original kennen, das zudem von einer tumben Hausfrau auf die einfältigste Weise kopiert wurde?
    Außerdem, und da wird sich Ferdinand besser ausgekannt haben als sein Sohn: eine eindeutige Feststellung der Vaterschaft war bereits im traditionellen Familienrecht der Zeit fragwürdig genug und wurde durch die Verbindung mit der Suche nach »jüdischen Rassemerkmalen« noch zusätzlich erschwert.
    Das war die entscheidende Lücke, die Vater und Sohn ausgespäht und sich zunutze gemacht hatten.
    Triefnaß eile ich nach Hause, schüttele das nasse Haar, werfe Regenmantel und Schuhe ab. Zitternd vor Kälte lasse ich mich in den Schreibtischstuhl fallen und blicke meine Väter an. Ziemlich angeschlagen wirken sie, ohnedies scheinen sie mit dem Schlimmsten zu rechnen. Der drohende Tod setzt ungeahnte Kräfte in ihnen frei, macht aus ihnen ebenso tollkühne wie angstgeplagte Draufgänger, mit einer gehörigen Portion Galgenhumor, gemeinsam bis zum Äußersten gehend. Was Vater und Sohn im alltäglichen Leben nicht fertigbrachten, das schaffen sie jetzt angesichts der tödlichen Gefahr, auf die sie zugehen: ein perfektes Duo in einem existentiellen Spiel, bei dem sie Kopf und Kragen riskieren.
    Sie tippt in ihren Laptop die Sätze:
    Des Pudels Kern: Zwei Dramatiker, die um des Überlebens willen eine makabre Komödie inszenieren, zu der der junge und begabtere die Idee liefert, die Mutter als Zeugin gewinnt und den Vater zum Mitspieler macht.
    Ferdinand will nicht noch einen Sohn verlieren und steigt als Co-Autor ein.
    Zwei Dramatiker schreiben gemeinsam das Drama ihres Lebens. Haben getüftelt, sich abgesprochen und wagen das Rasse-Spiel. Pokern hoch. Wissen, der kleinste Fehler kann sie ihr Leben kosten.
    Nicht ohne professionelles Vergnügen feilen sie an der Dramaturgie des Stückes. Bieten sämtliche Papiere, Dokumente und Referenzen auf. Scheuen nicht davor zurück, einem toten Geistlichen, noch dazu dem langjährigen Freund des Vaters, die Schandtat des sexuellen Mißbrauchs in die Schuhe zu schieben. Suchen überdies dessen Witwe auf, überzeugen sie davon, daß es ihre Pflicht
als Christenmensch sei, die ausgedachte Vergewaltigung gutzuheißen, um zwei Menschenleben zu retten. Lassen sich ihr Versprechen geben, Mitwisserin des wilden Seitensprungs ihres Mannes gewesen zu sein, falls die Gestapo sie befragen sollte.
    So gerüstet, begeben sich die beiden in das Räderwerk der Rassenuntersuchung und klagen sich in einem beispiellosen Spektakel frei.
    Ich blicke erneut mein Väter auf den Porträtfotos an, frage sie, ob stimmt, was ich in meinen Laptop eingegeben habe? Aus ihren Augen spricht arglose Bürgerlichkeit, in ihren Mundwinkeln blitzt die Ironie zweier Juden, die den von den Rassefanatikern geforderten »reinen Ariernachweis« ad absurdum geführt haben.
    Hochachtung erfüllt mich, vor diesen beiden Männern, aber auch vor Martha und der mitverschworenen Pfarrerswitwe Schmidt.
    Später, als ich das Geschriebene nachlese, treffen mich wie stechende Pfeile neue Fragen. Warum hielt mein Vater lebenslang an seinem Vaterhaß fest? Nicht nur innerhalb der Familie, auch in der Öffentlichkeit? War das eine Rolle, auf die er nicht mehr verzichten konnte? Oder fürchtete er, eine noch weitere
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