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Meine Väter

Meine Väter

Titel: Meine Väter
Autoren: Barbara Bronnen
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1944 um fünf Uhr morgens im alten Bauernhaus Abschied von meinem Vater, der einrücken mußte. Er kam nach Steyr und Znaim. Aufgrund einer Denunziation wurde er der Wehrkraftzersetzung angeklagt und in Wien inhaftiert. Provisorisch auf freien Fuß gesetzt, riskierte er eine Unterbrechung, um seine Mutter in Döbling zu besuchen – Ferdinand wird nicht erwähnt –, die »ihren schönsten und wärmsten Schal opferte, um meine schmerzenden Lenden zu schützen«: Er litt unter heftigem Ischias.
    Noch einmal saß er in dem Zimmer, in dem er herangewachsen war, sah »die Schreibtische, an denen Rudi und ich gesessen, der Tisch in der Mitte, sogar die alte Uhr hing noch an der gleichen Stelle. Ich prägte mir das alles genau ein, so, als sollte ich es nie mehr sehen.«
    Bomben, die knapp einen Meter vom Haus der Großeltern in der Reithlegasse entfernt einschlugen, zerstörten den ganzen Vorderbau, zerrissen die Fenster, die Türen, deckten das Dach ab und beschädigten die Möbel.
    Nun ließ Arnolt die ausgebombten Eltern nach Goisern kommen und reservierte ein Zimmer beim Metzger Gschwandtner für sie. So ist es überliefert im Protokoll .
    Sie ist aufgeregt. Ihr wird immer deutlicher, daß Arnolt Bronnen keineswegs die Nähe seines angeblich gehaßten Vaters floh, sondern durchaus verwandtschaftliche Verpflichtungen empfand und sich um das Leben des Vaters sorgte.
    Um sich auf eine eventuelle Invasion russischer Besatzer vorzubereiten, nahm Ferdinand die Dienste eines in Goisern lebenden russischen Obersten in Anspruch und
lernte in kurzer Zeit Russisch. Dann zogen er und Martha ins Pflegeheim der Evangelischen Kirche.
    Am 15. Dezember 1944 wurde Arnolts Bataillon von Steyr ins böhmische Znaim verlegt, dem sich die sowjetischen Armeen auf 200 km Entfernung näherten. In Schnee und Eis erlebte er seine sechsten Kriegsweihnachten: »Der Krieg begann in seine grauenvolle End-Phase zu treten.«
    Aufgrund heftiger Magenschmerzen und nervöser Leiden, Folge der alten Verwundung, gelang es ihm, ins Wiener Kriegslazarett überwiesen zu werden, dem er bald entkam. Er entging den Razzien und Kontrollen der Wiener Gefepo, obwohl er keinen Zivilanzug auftreiben konnte, und suchte im verwüsteten Elternhaus in der Reithle-Gasse Unterschlupf. Eine Bombe zerstörte auch die letzten Reste des Hauses, Bronnen wurde unter den Trümmern begraben, konnte sich befreien und kehrte, als sich das Bataillon auflöste, nach Znaim und am 13. April 1945 schließlich zu seiner Familie nach Goisern zurück, 26 Tage, ehe er das Hakenkreuz endgültig ablegte, »das mir vor fünfzehn Jahren als das Symbol der Kraft, des Glaubens, des Aufstiegs erschienen war«.
    Hatte er in Wien nicht den Mut gefunden, sich zu den vielen illegalen Widerstandskämpfern zu schlagen, so fand er ihn in Goisern. Mit einemmal engagierte er sich für den Kampf gegen den Faschismus, suchte Anschluß an den Widerstand; dazwischen wurde er wiederholt vom Auswärtigen Amt nach Berlin zitiert: Kontrastprogramm. Er mußte doch längst wissen, daß das Auswärtige Amt Juden der »Endlösung« zuführte.
    Bronnen wurde als Widerständler denunziert, und es gelang ihm nicht, die Aussagen der Denunzianten zu entkräften. Er gab an, seine beschlagnahmten Notizen seien
»Exzerpte aus antinationalsozialistischen Büchern für die von ihm verfaßten Propagandaschriften für das Auswärtige Amt in Berlin«. Bei einer Hausdurchsuchung reagierte meine zitternde Mutter geschickt und rettete damit Arnolts Leben: Sie versenkte weitere gefährliche Notizen im Wassertank der Toilette.
    1945 schloß sich Arnolt der österreichischen Kommunistischen Partei an und wurde für zwei Monate Bürgermeister des kleinen Ortes.
    Zur selben Zeit genoß Ferdinand wieder das Bergsteigen, wenn er auch nicht mehr die Höhen wie früher erklomm. Immerhin schaffte er es mit fast achtzig Jahren noch auf die Goiserer Hütte. Die ungelenken Hakenkreuze des »Alpenvereins« der völkischen Bewegung, die seit dem Antisemitenkongreß 1921 die Gipfel und Hütten geschmückt hatten, waren verschwunden, der Arierparagraph in den Satzungen kommentarlos getilgt.
    Sicher schlug er manchmal den Weg Richtung Dachstein ein, vorbei am Haus des »Schätzn«, wo Arnolt inzwischen mit seiner Familie untergekommen war, doch nie machte er dort halt.
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