Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meine Väter

Meine Väter

Titel: Meine Väter
Autoren: Barbara Bronnen
Vom Netzwerk:
enteignet, mußte keine Hausdurchsuchungen erdulden, das spärliche Mobiliar wurde ihm nicht genommen.
    Er trug keinen Judenstern.
    Er besaß seinen österreichischen Paß.
    Was mit den Juden in seiner Heimatstadt Auschwitz und in Birkenau geschah, konnte er wohl nicht mal ahnen, das hätte ohne Zweifel seine Vorstellungskraft überfordert. Details erreichten ihn nur sporadisch. Die Vernichtungsmaschinerie blieb abstrakt. Von seiner Schwester Amalie, in Kolomea mit einem Nichtjuden verheiratet, kamen
Briefe, und er war froh, daß seine Eltern das nicht mehr erleben mußten.
    Bald gab es nur noch wenige tausend Juden in Wien. Das spezielle Wiener System der »Aushebungen«, wonach Wohnungen von Juden, die noch in Wien lebten, systematisch durchkämmt wurden, zeigte Wirkung. Er hielt sich fern von den Zitternden, die fürchteten, gefoltert oder verschleppt zu werden. Aber ihre Hilfeschreie wurden unüberhörbar. Freunde rückten ferner.
    Er bezog keine Position und verhielt sich still. Ins Griensteidl ging er als »Gehörnter« längst nicht mehr, man hätte ihn ausgelacht.
    Die Bronners isolierten sich. Nur nicht auffallen! Weder ihr Sohn Günther noch ihre Tochter Ellida erfuhren ein Wort über den Vaterschaftsprozeß, geschweige denn über sein Jude-Sein. Das Schweigen sicherte ihm und seiner Familie das Überleben in Wien ohne schwerwiegende Behelligungen.
    Sie wühlt unter den Dokumenten, den Briefen, liest die letzten Briefe noch einmal. Ohne Ergebnis. Liest immer wieder. Da verrät ihr eine Zeile in einem Brief Ferdinands an seine Tochter Ellida in Amerika, daß sich seit dem Vaterschaftsprozeß etwas Grundlegendes verändert hat. Der so unnachgiebig und unversöhnlich sich gebende Ferdinand schreibt dankbar: »Arnolt hat mir sehr geholfen.«
    Dieser Satz – Arnolt hat mir sehr geholfen – elektrisiert sie. Er bestätigt ihr, daß es vor dem Prozeß zwischen Vater und Sohn eine Absprache gegeben haben muß.
    Einen Beweis hat sie jedoch nicht.
    In Berlin erlebte Bronnen die ersten Flächen-Bombardements. Er wurde zur »Dienstverpflichtung« im Auswärtigen Amt herangezogen und lebte mit seiner neuen Familie, der blonden Hildegard und den zwei Töchtern, von den Aufträgen des Auswärtigen Amts.
    Wußte er nicht, daß das Auswärtige Amt an der Judenpolitik des Dritten Reiches entscheidend mitwirkte, sogar an der »Erfassung« der Juden und ihrer Deportation?
    In jedem Fall verband er sich, der sich angeblich vom Nationalsozialismus zu lösen begann, mit seinen Funktionären und schrieb Artikel über Washington, Churchill, die Kriegshysterie. Er erhielt den Auftrag, als ausländischer Journalist getarnt, einen Stimmungsbericht zu schreiben, »welcher die Wirkungen der Luft-Angriffe bagatellisierte und die siegesfrohe Stimmung der Heimat überzeugend zu Papier brachte«. »Das hatte ich«, schreibt er im Protokoll , »von dem Prozeß, von der Rehabilitierung …« Bronnen erledigte diesen Auftrag rasch, da kam schon der zweite: Er sollte als britischer Journalist seine Vorstellung von einem Europa nach dem Sieg entwerfen. Kaum war dies zum Wohlgefallen erledigt, kam schon der dritte Auftrag: »Nun wurde es mir zu bunt.«
    Neuerliches Publikationsverbot für Arnolt Bronnen und Verbot der Berichterstattung über Bronnen. 1942 wird die Aufführung seines Stückes Gloriana an den Münchner Kammerspielen untersagt. 1943 wird das Publikationsverbot für In- und Ausland wiederholt. Die erneute Aufhebung der Mitgliedschaft in der Reichsschrifttumskammer wird mit seiner »früheren schriftstellerischen Tätigkeit« begründet.
    Arnolt wurde erneut von der Gestapo vorgeladen, mit der Begründung, man habe »von sehr hoher Stelle« beantragt, ihn unter Schutzhaft zu stellen. Die aggressive Vernehmung endet mit der Drohung, er werde nochmals vernommen werden. Immer wieder hatte er sich Nischen gesucht, aus denen man ihn hervorgezerrt hatte. Jetzt schien es keine mehr zu geben. Er war am Ende.
    Fliehen oder bleiben? Nichts wie weg. Seit 1942 hatte er
immer wieder die Übersiedlung nach Österreich ins Auge gefaßt, nun berief er sich auf seine »Pflicht«, Österreich beizustehen. In einer Vorfassung des Protokolls gibt er finanzielle Gründe für die Übersiedlung an, im Protokoll emotionale.
    Er fuhr nach Wien und suchte seine Mutter auf.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher