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Meine Väter

Meine Väter

Titel: Meine Väter
Autoren: Barbara Bronnen
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eigenartige Verschwiegenheit hegten, beide an einem Magenleiden litten. Beide zum Dramatiker geboren waren.
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35. Rassenwahn
    Das Drama um den berüchtigtsten Ehebruch jener Tage spielte sich in ihren ersten Lebensjahren ab.
    Wollte ihr Vater seiner Familie und den Neugeborenen eine »arische« Herkunft garantieren?
    Was mag in Ferdinand vorgegangen sein? Er stand zwischen seiner Ehefrau und dem Sohn, ausgeliefert diesen Sippenspezialisten.
    Die ganze Bühne dieser Institution steht Arnolt zur Verfügung, er wird sie für seine Zwecke nutzen, wird harte Worte finden, um sein Leben zu retten.
    Sie versucht, sich in Ferdinand hineinzuversetzen.
    Er würde einem Ankläger gegenüberstehen, der sein Sohn war und der für sich die Gesetze des Nazi-Staates in Anspruch nahm. Er würde vor den Sittenrichtern zu Protokoll geben müssen, ob er der leibliche Vater war oder nicht.
    Was hatte er schon gegen die Repräsentanten dieses Staates in der Hand, die die Macht besaßen, Menschen nach den Kriterien einer Pseudowissenschaft in zwei Klassen zu unterteilen, in die »arische« Herrenrasse und die zur Vernichtung bestimmten Untermenschen?
    Sie stellt sich Ferdinand und Martha vor, wie sie im Zug von Wien nach Berlin sitzen. Sehen sie einander in die Augen, wenn sie miteinander sprechen? Oder gibt es nichts mehr zu sagen und sie schweigen einander an? Memoriert jeder für sich die lange durchdachten Antworten auf Fragen des Sippenamts in Berlin? Denkt Ferdinand an das, was ihm bevorsteht, und Martha an ihre Zukunft als entlarvte Lügnerin oder als armselige Witwe? Haben sie ihre bis zum Zerreißen gespannten Nerven so im Griff, daß sie
den kontrollierenden Blicken der Zugschaffner, der mitreisenden Gestapo nicht auffallen?
    Sie erträgt die Bilder und Fragen nicht länger und stellt den Film ab, der in ihrem Kopf läuft, und zwingt sich zur Sachlichkeit.
    Welche Papiere hatten Ferdinand und Martha bei sich, säuberlich in zwei Mappen eingeheftet, die sie dem Sippenamt vorlegen mußten? Die Geburts-, Tauf-, Heirats- und Sterbeurkunden zurück bis zu den Großeltern, ärztliche Atteste, Blutgruppenbescheinigungen, erbbiologische Gutachten, Staatsbürgerschaftsnachweise. All diese Dokumente zusammenzutragen, muß Wochen gedauert haben. Die internen Dokumente hatte die Gauleitung Wien bereits nach Berlin geschickt. Ferdinand – jetzt als Ferdinand Israel Bronner benannt – war lange vor dem Erlaß der Nürnberger Gesetze zum Christentum konvertiert, mußte jedoch eine Bescheinigung vorlegen, daß er in der vom Staat vorgeschriebenen Form den mosaischen Glauben abgelegt hatte, der bloße Nachweis seiner Taufe zum Christen genügte nicht. Martha hatte von ihrem Sohn einen Merkzettel erhalten, auf dem der Name »Dr. Kurt Mayer« stand. Dieser Dr. Kurt Mayer, gelernter Historiker, Parteigenosse und Mitglied der SS – ein Helfer, wie Arnolt Bronnen es der Mutter versprochen hatte?
    Mayer war als Scharfmacher berüchtigt. Er galt als einer der strammsten SS -Männer und als übereifriger Mitarbeiter des Reichssippenamts, der auch Personen als Juden denunzierte, die nachweislich keine waren.
    Und ausgerechnet diese Kreatur sollte einen weichen, menschlichen Kern in sich bergen?
    Angekommen in Berlin, näherten sich der Vierundsiebzigjährige und seine Ehefrau den bedrohlichen, neugebauten Baracken-Komplexen des Reichssippenamts.
    Ferdinand wußte, was auf ihn zukommen würde. Die Beamten in der Reichsstelle für Sippenforschung, zuständig für Zweifelsfälle wie Findelkinder, Adoptierte und unehelich Geborene, hatten mehr oder weniger freie Hand darin, wie sie sich entschieden. Die sogenannten Nürnberger Gesetze von 1935 waren 1938 durch einen neuen Gesetzentwurf dahingehend erweitert worden, daß in bestimmten Einzelfällen erb- und rassenkundliche Gutachten »im Interesse des Kindes« als notwendig verordnet wurden. Damit sollte sichergestellt werden, daß kein »Arier« versehentlich als Jude oder Mischling dem Dritten Reich verlorenging.
    Die Rassenforschung unterstand Reichsminister Wilhelm Frick, Parteimitglied seit 1925 und Träger des Ehrenzeichens der Bewegung für seine Teilnahme am Hitler-Putsch vor der Feldherrnhalle in München, in seinem Ministeramt verantwortlich auch für das Verbot regimekritischer Publikationen, Zeitungen, Filme und Theaterstücke.
    Was Ferdinand
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