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Meine Väter

Meine Väter

Titel: Meine Väter
Autoren: Barbara Bronnen
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Ehe – ein Haus im sogenannten Intelligenzviertel, er hatte Arbeit und ein sicheres Einkommen, doch der Preis dafür wurde ihm zur Qual. Die massive Ablehnung, auf die er bei Kulturfunktionären und Juden stieß, galt auch seiner Vergangenheit. Einerseits war der Antisemitismus in der DDR sehr ausgeprägt, andererseits waren die jüdischen Schriftsteller doch stark genug, um einen wie Bronnen zu ächten.
    Als mein Vater 1959 starb, schockierten mich die Feind
seligkeit und Verachtung, die sein Tod in der »freien«, der westlichen Presse auf sich zog. Selbstherrlich nahm sich jedermann heraus, über ihn zu richten, ja ihn über das Grab hinaus zu vernichten.
    Sie empfindet Trauer darüber, daß sie nicht Auge in Auge mit ihm sprechen konnte. Daß dieses Versäumnis nicht wiedergutzumachen ist, davon erzählt dieses Buch.
    Doch einen genauen Rechenschaftsbericht hätte sie ihm nie entlockt.
    Â 
    * * *

37. Chuzpe!
    Damit hätte dieses Buch sein Ende finden können, wäre sie nicht unerwartet auf etwas gestoßen, das sich in seiner alltäglichen Banalität geschickt unter dem Berg ihrer Notizen und gesammelten Dokumente verborgen gehalten hätte.
    Heißt es nicht richtig, fragt sie, der Teufel stecke im Detail?
    Das Detail entpuppt sich als die Tatsache, daß Ferdinand und Martha Bronner, kaum im Evangelischen Pflegeheim in Goisern eingetroffen, zusammen mit der Witwe des Pfarrers Schmidt an einem Tisch saßen und gemeinsam zu Mittag speisten. Ausgerechnet mit jener kränklichen Frau, deren 1913 verstorbener Mann zum leiblichen arischen Vater Arnolt Bronnens erklärt worden war!
    Nach allem, was sie in jahrelang mühsamer Arbeit herausgefunden und zusammengetragen hat, verschlägt es ihr mit diesem in seiner Tragweite erstmals wahrgenommenem Fund den Atem. Die Witwe des geistlichen Ehebrechers und die von ihm gegen ihren Willen Geschwängerte sitzen mit dem gehörnten Ferdinand einträchtig beisammen und lassen es sich schmecken?
    Sie lacht, lacht, lacht. Und sieht unter Tränen endlich, wie sich die Nebel lichten.
    Ich bin früh aufgewacht, mit der aufregenden Entdeckung im Kopf. Ich wische die Papiere mit den unzähligen Fragezeichen von meinem Schreibtisch und beginne damit, zwei und zwei zusammenzuzählen. Dr. Ferdinand Bronner und Arnolt Bronnen auf den Porträtfotos sehen mir dabei zu: zwei Brüdern gleich, aus demselben Holz
geschnitzt, dasselbe ironische Lächeln in den Mundwinkeln. Zwei Intellektuelle und hochbegabte Dramatiker.
    Mir schießt der Satz Ferdinands durch den Kopf, den er seiner Tochter Ellida schrieb: Arnolt hat mir viel geholfen. Unwillkürlich schließe ich die Augen, doch es wird nicht finster, die beiden Männer blicken mich unverwandt an, und mir ist, als hörte ich ihr heiseres Lachen. Das Lachen zweier Schlemihls, die zusammen ein aberwitziges Ding gedreht und einander geschworen haben, darüber bis an ihr Lebensende Stillschweigen zu bewahren.
    Ich reibe mir die Augen. Stillsitzen kann ich nicht mehr. Ich ziehe den Regenmantel über und verlasse das Haus. Es regnet in Strömen, aber das kümmert mich nicht. Ich muß laufen, um zur Besinnung zu kommen.
    Jetzt fragt sie andersherum, fragt, was wäre mit Ferdinand Bronner geschehen, wenn er aus dem Vaterschaftsprozeß als bestätigter Jude hervorgegangen wäre?
    Die Antwort liegt auf der Hand: Die Nazis hätten ihn dorthin geschickt, woher er gekommen war, und ihn in Auschwitz ermordet.
    Und Arnolt Bronnen, was hätten die Nazis mit ihm gemacht, wenn Ferdinand bestritten hätte, daß ein anderer als er ihn gezeugt hat?
    Als Halbjude hätte er das Schicksal Ferdinands geteilt.
    Wer im Berliner Reichssippenamt im Hintergrund an den Fäden gezogen hat, ob es dieser ominöse Dr. Schröder oder der Scharfmacher Dr. Mayer gewesen war oder Goebbels oder Mirko Jelusich – diese Frage läßt sich nicht mehr klären. Die Tatsache allerdings bleibt bestehen, daß Ferdinand Bronner ohne den in Berlin geführten Vaterschaftsprozeß als Jude in Auschwitz »vergast« worden wäre.
    Was die beiden, Vater und Sohn, zusammen auf der Büh
ne des Lebens unter Todesgefahr inszeniert haben, grenzt an Wahnwitz.
    Sie stellt sich Fragen, auf die sie nie gekommen wäre, fragt sich, wer zuerst die Idee zu diesem Stück aus dem Tollhaus hatte? Arnolt, der Sohn, der sich 1930 den ersten Brief von seiner
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