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Meine Väter

Meine Väter

Titel: Meine Väter
Autoren: Barbara Bronnen
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ihr selbst gegenüber, sondern ihrer Mutter gegenüber mit Mißtrauen erfüllte.
    Als ich zwölf Jahre alt war und mein Vater sich eine andere Frau nahm, aber immer noch bei uns nächtigte, packte meine Großmutter aus. Sie besuchte meine schluchzende Mutter und fuchtelte wild mit dem Staubwedel in unserer Wohnung herum.
    Dieser Schuft! rief sie, dieser Vatermörder und Frauenverzahrer!
    Ich hörte es mit Staunen.
    Wie es sich traf, war dieser Ausbruch genau das, was ich mir ersehnt hatte: Zum ersten Mal erfuhr ich mehr und hörte von einem Vaterschaftsprozeß, daß sein Vater nicht sein richtiger Vater sei.
    Vaterschaftsprozeß? Ich verstand nicht, wovon sie redete.
    Eine seltsame Zeit, in der sich nichts zusammenfügte.
Und doch nabelte ich mich ab. Ich wollte heraus aus dieser Verschwommenheit und tastete die Welt nach Konkretem ab. Das war die Zeit, in der mein Vater an der zweiten Hälfte seiner Lebenserinnerungen schrieb, die später unter dem Titel Arnolt Bronnen gibt zu Protokoll mit dem Untertitel »Beiträge zur Geschichte des modernen Schriftstellers« erschienen. Ich verbrachte die Abende, an denen er meist verschwand und meine Mutter im Theater arbeitete, damit, in seinem Papierkorb zu wühlen.
    Das begonnene Manuskript war als Gerichtsverfahren angelegt. Ein fingiertes Selbstgericht, in dem er den Leser, also mich, zum Richter ernannte. Mir sei es »aufgegeben«, »hinter diese Maske zu blicken«. Ich sollte mich demnach nicht verwirren lassen, sondern den klaren Blick behalten.
    Vorbild: die Fragebogen-Aktion der Alliierten nach der deutschen Kapitulation 1945, als man die Bevölkerung zum Ausfüllen von Formularen zwang. Die Fragen waren so konzipiert, daß die Antworten Aufschluß über die Beteiligung am NS -System geben sollten. Da mein Vater nicht emigriert war, sondern sich mit dem System arrangiert hatte, geriet er bei Kriegsende unter wachsenden Druck, Rechenschaft abzulegen. Er wehrte sich lange: »Ich bin 12 Jahre lang verboten gewesen. Ich war 9 Jahre kulturkammerausgeschlossen. Ich bin wegen politischer Unzuverlässigkeit fristlos entlassen worden. Schließlich bin ich wegen Hochverrats verhaftet worden. Und jetzt soll ich noch beweisen, daß ich kein Nazi mehr bin?« In einem Brief an Otto Basil, der um seinen Lebenslauf gebeten hatte, schrieb er: »Biographie? Geboren 1895 in Wien, Ende nie. (…) Meine wichtigste Zeit brachte ich im Mutterleib zu.« Basil, eigentlich Bazil, Schriftsteller und Publizist, erhielt nach dem Anschluß Österreichs an
Deutschland Schreibverbot und arbeitete nach dem Zweiten Weltkrieg als Dramaturg am Wiener Volkstheater. 1966 erschien seine erfolgreiche Satire Wenn das der Führer wüßte.
    Nach seiner Mitgliedschaft in der kommunistischen Arbeiterbewegung im Salzkammergut in den Jahren 1943 bis 1945 legte mein Vater 1950 der Kommunistischen Partei Österreichs und den SED -Funktionären in Berlin – darunter Johannes R. Becher – ein Typoskript mit dem Titel Leben im Fegefeuer vor, dem jedoch, so die Urteilenden, »die Überzeugungskraft völlig« fehlte. In diesem Typoskript, das mir damals in die Hände geriet, verschwieg er seinen Vater, und auch von einem Vaterschaftsprozeß war demnach nicht die Rede. Der Lektor des Wiener Schönbrunn-Verlags H.E. Goldschmidt lehnte das Manuskript ab. Bronnen reichte das überarbeitete Protokoll mit einem Brief bei Rowohlt ein. »Es war zu erwarten, daß speziell der Teil unserer jüdischen Freunde die – im Grunde völlig unwichtige – Family-Story in den Haupt-Teil setzen und mich nun mittels tiefenpsychologischer Sprach-Forschung und Ao-Blutgruppen-Forschung als entsprungenen Sohn der jüdischen Familie reklamieren würde. Ich wollte die ganze Geschichte ohnehin nicht hineinsetzen, aber in der ersten, kurzen Fassung klagten die jüdischen Freunde: ›Wie kann der Bronnen seine jüdische Abstammungs-Geschichte übergehen?‹ Gut, habe ich gesagt, ich bring sie hinein, aber ihr werdet keine Freude daran haben. Sie haben keine Freude daran …«
    Mein Fortsetzungsroman, ich las ihn mit verräterischem Prickeln. Eine ziemliche Herausforderung für eine Zwölfjährige.
    Ich entdeckte im Manuskript manches, das mich verdutzte. Von Krieg, Krisen, Erfolgen, weltanschaulicher
Unzurechnungsfähigkeit und Vaterlandsgläubigkeit, von Verletzungen und allen
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