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Meine total wahren und ueberhaupt nicht peinlichen Memoiren mit genau elfeinhalb

Titel: Meine total wahren und ueberhaupt nicht peinlichen Memoiren mit genau elfeinhalb
Autoren: Friedrich Ani
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das andere wollte.
    Was ich wirklich wollte, das konnte ich mir nicht denken. Ich konnte es mir schon denken, aber nicht richtig. Als müssten die richtigen Gedanken für das, was ich wirklich denken wollte, erst erfunden werden.
    Dann fiel mir ein, dass ich vielleicht die richtigen Gedanken irgendwo ausleihen könnte, bei einem Gedankenverleiher.
    Wieso kann man Fahrräder und Autos ausleihen, Gedanken aber nicht? Gedanken braucht genauso jeder.
    Mein Vater behauptet oft, die Menschen hätten kein Interesse mehr an Gedanken, das Fernsehen würde ihnen genügen. Keine Ahnung, ob er recht hat. Ich finde Gedanken gut. Und das Fernsehen finde ich auch gut.
    Weil der ganze Unterricht an mir vorbeizog wie Wolken und ich dauernd beim Überlegen gestört wurde, hatte ich mich in der Pause an Ole rangeschlichen. Er ist der Schlaueste in der Klasse, er würde mich nicht für einen peinlichen Mädchenangaffer halten wie Vitali.
    Als ich Vitali vor dem Unterricht gefragt hatte, was ich dagegen machen kann, dass ich dauernd Annalena vor mir sehe, sagte er: »Schau in die andre Richtung. Oder willst du ein peinlicher Mädchenangaffer werden?«
    Ich wollte kein peinlicher Mädchenangaff er werden. Ich wollte bloß Annalena anschauen.
    Aber nicht die ganze Zeit. Aber nicht die ganze Nacht. Oder doch?
    Wieso?
    »Entschuldige«, hatte ich zu Ole gesagt und mich am Kopf gekratzt.
    Das tu ich immer, wenn ich was Wichtiges sagen will. »Hast du mal schnell Zeit? Ich muss dich was fragen, Schoppenhammer.« Das ist sein Spitzname, weil er angeblich so gescheit ist. Wieso er deswegen Schoppenhammer heißt, kapiere ich nicht.
    Trotz der Sonne trug er ein braunes Sakko und ein grünes Hemd mit Kragen. Er sah mich an, als würde ich ihn bei irgendwas stören. Ich kratzte mich wie blöd am Kopf, genau an der Stelle, an der seit heut Nacht eine Beule rauswuchs.
    Ole kniff die Augen zusammen.
    »Beeil dich«, sagte er. »Wir müssen gleich rein.«
    Ole ist der größte Streber, dem ich je begegnet bin. Niemand weiß, wieso er auf die Realschule geht und nicht aufs Gymnasium.
    Mit aller Macht hörte ich auf zu kratzen. »Kannst du mir ...« Ich traute mich nicht. Ole verzog den Mund. Die Glocke läutete. In einer Gruppe von Schülern sah ich Vitali, der sich gerade umdrehte. Wenn er mitkriegte, dass ich mit Ole redete, würde er herkommen und sich wichtig machen. Er war jetzt aber nicht wichtig.
    »Schoppenhammer ...«, begann ich. Ich wollte was denken. Aber da war wieder dieses Ploppen in meinem Kopf. » Schoppenhammer, kannst du mir ... kannst du mir einen Gedanken ausleihen? Bitte. Nur einen. Einen richtigen, verstehst du?«
    »Ich soll dir einen Gedanken ausleihen, Biosexa?«
    Nur weil ich in der Fünften als Einziger eine Sechs in der Biologie-Schulaufgabe geschrieben habe, nennen mich einige in der Klasse Biosexa.
    »Ja, bitte«, sagte ich. Obwohl ich eigentlich sagen wollte: Sag nie wieder Biosexa zu mir, sonst kriegst du eine geduscht.
    »Was zahlst du dafür?«
    Darauf wusste ich keine Antwort. Vitali glotzte schon zu uns her.
    »Was willst du dafür?«, fragte ich.
    »Kommt auf den Gedanken an, Biosexa«, sagte Ole.
    »Darf man die ganze Nacht an ein Mädchen denken?«, stieß ich hervor und spürte den Schweiß auf meinem Gesicht. Ich hoffte, er käme von der Sonne und Ole würde nichts bemerken.
    »Ich dachte, du willst einen Gedanken von mir und keine Antwort«, sagte Ole.
    »Ist das ein Unterschied?«
    »Das ist ein großer Unterschied.«
    »Darf man die ganze Nacht an ein Mädchen denken oder nicht? Ich muss das wissen, das ist total wichtig.«
    »Warum ist das wichtig?«
    »Weil ich nicht weiß, was ich denken soll. Und was ich will. Und was überhaupt los ist.«
    »Dann denk mal nach«, sagte Ole.
    »Das mach ich doch!«, sagte ich. Es klang viel zu laut. Ich wollte im Boden versinken. Vitali kam näher. »Alles, was ich denk, zerplatzt, und ich zerplatz auch gleich. Ich muss was Richtiges denken, sonst dreh ich durch. Und deswegen brauch ich einen Gedanken von dir.«
    Wie ein Indianer hob Vitali die Hand und stellte sich neben uns.
    »Du spinnst«, sagte Ole und grinste. »Aber das geht vorbei. Cool bleiben, weiterschwitzen.« Er ging. Nach ein paar Metern drehte er sich noch mal um. »Der Tipp war kostenlos.«
    Vitali und ich sahen ihm hinterher. Ole watschelte auf den Eingang zu, und sein breiter Oberkörper schwanktehin und her, als hätte er rechts und links schwere Steine in seinen Sakkotaschen.
    »Was wolltest du von
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