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Meine total wahren und ueberhaupt nicht peinlichen Memoiren mit genau elfeinhalb

Titel: Meine total wahren und ueberhaupt nicht peinlichen Memoiren mit genau elfeinhalb
Autoren: Friedrich Ani
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heißt, aber fast kein Wasser drin ist, bloß für einen Meter fünfunddreißig Tiefe. Vitali meint, das ist wegen der Chinesen. Das ist überhaupt nicht wichtig. Ich wollte was ganz anderes erzählen.

Sechs
    Immer noch Dienstag
    Wenn wir Lust haben, gehen wir jeden Tag ins Sheraton-Schwimmbad. Die Leute an der Rezeption kennen uns alle. Sie haben nichts dagegen, wenn wir mit dem Lift in den einundzwanzigsten Stock fahren und in der Towers Lounge eine Limo bestellen und uns ans riesige Fenster setzen und über die Stadt schauen.
    Hier bin ich geboren, im Schwabinger Krankenhaus beim Scheidplatz. Den kann ich von dem Fenster aus genau erkennen. Und ich erkenne auch andere Plätze und sogar ein paar Kirchen, aber Vitali erkennt immer nichts.
    Er ist nicht in München geboren, sondern in Russland. Er behauptet, er hätte keine Heimat, nur eine Adresse. Manchmal redet er so. Als er ein Jahr alt war, sind seine Eltern aus seinem Land weg. Seit er drei ist, wohnt er in München. Wir sind die besten Freunde, und wir waren gleich schlecht in der Grundschule. Deswegen haben wir den Übertritt aufs Gymnasium nicht geschafft. Mein Vater behauptet, wir wären überhaupt nicht schlecht in der Schule gewesen. Die Lehrer würden bloß nicht so vieleKinder aufs Gymnasium lassen, weil Bayern nicht nur Studierte brauchen würde, sondern auch Handwerker und solche Leute. Vitali und ich haben beschlossen, dass wir nach der zehnten Klasse aufs Gymnasium wechseln, weil wir uns nicht verarschen lassen.
    Vitali ist ein echter Freund. Aber manche Sachen checkt er nicht. Zum Beispiel, dass er in der Davidstraße, wo er wohnt, ZU HAUSE ist, genau wie ich in der Evastraße. Wir sind Nachbarn, und Englschalking ist unsere HEIMAT, meine und seine. Das checkt er nicht.
    Genauso wenig, wie er kapiert, warum ich ihm im Schwimmbad fast eine runtergehauen habe. Weil er mich nicht schauen ließ. Weil er mein ganzes Schauen kaputt gemacht hat.
    Aber das ist immer noch nicht das Wichtigste, was ich erzählen wollte.
    Vitali ist jetzt mal überhaupt nicht wichtig.

Sieben
    Immer noch Dienstag
    In dem Moment, in dem ich gestorben bin, war eigentlich Freitag, aber in Wirklichkeit immer noch Dienstag und drei am Nachmittag. Und sonst war nichts. Und das gelbe Mädchen war da.
    Das gelbe Mädchen war das Wichtigste.
    Es war gar nicht gelb. Es hatte nur einen gelben Badeanzug an.
    Nachdem Vitali mich untergetaucht und ich ihm fast eine geduscht hatte, weil er mich nicht in Ruhe schauen ließ, stellte ich mich auf die Zehenspitzen und legte den Kopf in den Nacken. Damit ich noch besser schauen konnte. Ich hätte auch normal stehen können, denn ich bin fast einen Meter vierzig groß. Aber ich wollte das gelbe Mädchen noch besser sehen. An das Mädchen neben ihr erinnerte ich mich erst viel später wieder.
    »Aha«, sagte das gelbe Mädchen.
    Das war ihr erstes Wort.
    Aha.
    Noch nie hatte ich ein Mädchen Aha sagen hören.
    Ich kapierte auch sofort überhaupt nicht, was sie damit meinte.
    Außerdem kam es mir vor, als hätte sie ziemlich laut gesprochen. Oder ihre Stimme hallte im Schwimmbad. Aha.
    Vielleicht hatte sie bloß A gesagt, und ha war das Echo. In keinem Schwimmbad der Welt gibt es ein Echo.
    Ich stand immer noch auf den Zehenspitzen. Und ich schwankte. Und weil ich dachte, ich müsste auch was sagen, sagte ich:
    »Ja.«
    Ja. Was anderes fiel mir nicht ein.
    Und sie sagte: »Ja?«
    Mit Fragezeichen hinten. Ja? Was ja?
    Ich kapierte schon wieder nicht, was sie damit meinte. Und weil ich fast umkippte und mir die Zehen schon wehtaten, sagte ich:
    »Hmm.«
    Hmm.
    Als hätte ich alle Wörter vergessen.
    Und als ich mich normal hinstellte und aus Versehen wieder auf die Uhr hinter der Theke schaute, rutschte mein Blick von dem gelben Mädchen weg.
    Und als ich auf meinen Füßen stand und spürte, wie sich unter Wasser meine Finger in die Oberschenkel krallten, sah ich, dass sie den Kopf zu ihrer Freundin drehte und kicherte.
    Und ich sagte schnell: »Servus.«
    Ich sagte Servus. Ganz normal Servus.
    Weil ich nicht wollte, dass sie anfing, mit ihrer Freundin zu reden. Das wollte ich nicht. Ich wollte, dass sie mit mir redete.
    Das war es, was ich monstermäßig wollte. Dass das Mädchen in dem gelben Badeanzug mit mir redete, um fünf nach drei am Dienstag im Spa-Bad unten.
    Fünf Minuten waren schon vergangen. Keine Ahnung, wieso die vergangen waren und was in der Zwischenzeit passiert war.
    Ich wollte bloß, dass sie aufhörte zu kichern und mit mir
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