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Meine total wahren und ueberhaupt nicht peinlichen Memoiren mit genau elfeinhalb

Titel: Meine total wahren und ueberhaupt nicht peinlichen Memoiren mit genau elfeinhalb
Autoren: Friedrich Ani
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Minikanu schwamm er unter der Brücke durch und weg.
    Der Hund wedelte mit dem Schwanz.
    Ich hing in der Luft.
    Mein zweiter Schuh baumelte an meinem Fuß. Wenn ich nicht sofort Anlauf nahm, würde ich mitsamt meinem Schuh da unten landen. Und dann würde der Hund vor Vergnügen seinen bunten Reifen in die Luft werfen.
    Jeden Moment würden die anderen Hunde auftauchen. Und dann die Frauen in ihren Kutten.
    Ich hielt die Luft an, keine Ahnung, wieso, das tat ich sonst nie. Ich legte mein ganzes Gewicht nach links undstieß mit dem linken schuhlosen Bein in die Luft. Gleichzeitig zog ich mich näher an den Zaun ran, drehte mich und sprang ab.
    Mit dem Gesicht voraus landete ich in einem Strauch. Die spitzen Äste schlitzten mein Gesicht auf. Schreiend wälzte ich mich auf die Seite und rieb wie blöd über meine Wangen. Aber ich blutete nicht. Ich hatte mir nur eingebildet, zerfetzt zu werden.
    War ich ein Hüpochonder geworden?
    Als ich mich aufrichtete, sah ich, wie der graue Hund seine Schnauze zwischen zwei Holzlatten zwängte. Der Abstand war viel zu eng.
    Lass das, blöder Hund, wollte ich sagen. Aber aus meinem Mund kam nur ein Röcheln. Weniger als ein Röcheln. Ein Hecheln. Weniger als ein Hecheln. Viermal lautlose Luft kam aus meinem Mund. Ich fing an zu weinen. Ich weinte ganz stumm.
    Der Hund schnupperte am Holz. Dann musste er niesen. Seine bunte Kette flatterte hin und her. Ohne sich noch mal zu mir umzudrehen, trottete er zum Weg zurück, hielt Ausschau und verschwand in Richtung Radler-Kiosk. Anscheinend hatte ihn noch niemand vermisst.
    Ich wünschte, er wäre dageblieben.
    Das Heulen war mir peinlich. Es heulte aus meinen Augen raus.
    Ich sah meine graue Socke, die mal weiß gewesen war.
    Und ich sah meinen Chuck, der mir vom Fuß gerutschtwar und neben mir im Gras lag. Am liebsten wäre ich im Boden versunken und nie mehr aufgetaucht.
    Obwohl ich immer, wenn ich zur Vogelinsel ging, allein sein wollte, hatte ich mich dort eigentlich nie allein gefühlt.
    Jetzt fühlte ich mich alleiniger als allein. Ich war der alleinigste Elfeinhalbjährige auf der Welt.
    Sogar die Vögel, die sonst immer hier singen oder lustige Geräusche machen, waren still, damit ich mein Alleinigsein besser hören konnte.
    Ich lag auf dem Boden im Gebüsch. Um mich rum war alles grün und stumm. Ich mümmelte mich ein wie nachts im Bett oder wenn meine Ma sich zu mir legt und mich ganz fest festhält.
    So lag ich unsichtbar unter dem ganzen Grün auf der Vogelinsel und dachte an Annalena, obwohl ich gar nicht an sie denken wollte. Mein ganzer Kopf dachte an sie, und ich kriegte schon wieder keine Luft.
    Und dann kapierte ich, dass nicht mein Kopf an sie dachte, sondern mein Herz.
    Und das dachte so brutal an Annalena, dass ich fast bewusstlos wurde. Es dachte immer wilder und gemeiner. Und ich krümmte mich noch mehr zusammen und presste meine Beine an den Körper und umklammerte meine Knie und drückte so fest zu, wie ich konnte.
    Ich war mir ganz sicher: Innerhalb der nächsten sechzig Sekunden sterbe ich.
    Annalena. Annalena.
    Und bevor ich starb, kapierte ich, warum ich nicht mehr sprechen konnte.
    Weil Annalena meine Stimme gestohlen hatte.
    Und ich wollte doch noch so viel zu ihr sagen.

Fünf
    Dienstag
    In dem Moment, in dem ich gestorben bin, war nicht mehr Freitag, sondern Dienstag, vier Tage früher, ungefähr drei Uhr am Nachmittag. Das stimmt nicht. Es war genau drei. Über der Theke beim Eingang zum Schwimmbad hängt eine Uhr. Auf die hatte ich geschaut, keine Ahnung, wieso.
    Vitali und ich schwammen um die Wette.
    Und dann stand Annalena am Beckenrand.
    Natürlich wusste ich noch nicht, wie sie hieß. Neben ihr stand ein zweites Mädchen, wie die hieß, wusste ich natürlich auch noch nicht. Die hätte auch Annalena heißen können.
    Ich schaute zu ihr hoch. Sie war ganz gelb. Und ihre schwarzen Haare standen wie ein Turm auf ihrem Kopf. Und hinter ihr war es genau drei.
    Vitali packte mich an den Beinen und zog mich nach unten. Ich schluckte Wasser und spuckte es aus. Das war mir peinlich. Man spuckt nicht ins Wasser, sagt meine Ma. Und in das Becken, in dem wir kostenlos schwimmendürfen, darf man erst recht nicht spucken. Es ist nämlich so was wie ein Luxusbecken und gehört zu einem Spa. In einem Spa kriegen die Hotelgäste supergesunde Massagen aus China oder von noch weiter weg.
    Was Spa bedeutet, weiß ich nicht, von sparen kommt es jedenfalls nicht.
    Müsteriös finde ich auch, dass es Luxusbecken
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