Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meine Tiere, mein Leben

Meine Tiere, mein Leben

Titel: Meine Tiere, mein Leben
Autoren: James Herriot
Vom Netzwerk:
das Unterbewusstsein, das auch während des Schlafs weiterarbeitet, ließ mir keine Ruhe. Plötzlich war ich wieder hellwach. Der Wecker zeigte 2 Uhr 30.
    »Mein Gott!«, rief ich und starrte an die dunkle Zimmerdecke. »Myrtle hat Eklampsie!«
    Ich sprang aus dem Bett und zog mich an.
    »Was ist? Was ist los?«, fragte Helen mit verschlafener Stimme.
    »Humphrey Cobb!«, stieß ich hervor und band mir den Schuh zu.
    »Humphrey? Aber du hast doch gesagt, das sei nie eilig...«
    »Heute ist es eilig. Sein Hund stirbt.« Ich sah wieder auf die Uhr, griff nach meiner Krawatte, warf sie aber wieder zurück auf den Stuhl. »Verdammt! Die brauche ich nicht!« Ich sauste aus dem Zimmer.
    Ich lief durch den Garten zur Garage. Unterwegs malte ich mir die Lage aus. Eine kleine Hündin, die fünf Junge säugte, Anzeichen von Angst und Steifheit heute Nachmittag, und jetzt lag sie entkräftet da und zitterte. Eine klassische Wochenbett-Eklampsie! Die ohne Behandlung schnell zum Tode führte. Und es war fast anderthalb Stunden her, seit er angerufen hatte. Ich mochte gar nicht daran denken.
    Humphrey war noch auf. Er hatte sich offensichtlich mit der Flasche getröstet. Er konnte kaum noch stehen.
    »Du bist also doch gekommen, Jim, mein Junge«, murmelte er und blinzelte mich mit tränenden Augen an.
    »Ja, wie geht’s ihr?«
    »Immer noch dasselbe.«
    Ich umklammerte das Kalzium und die Spritze und drängte mich hinter ihm in die Küche.
    Myrtle lag ausgestreckt da und schüttelte sich in Krämpfen. Sie atmete keuchend, zitterte heftig, und Speichelfäden tropften aus ihrer Schnauze. Die Augen hatten ihren weichen Glanz verloren, sie wirkten glasig und hatten einen starrenden Blick. Aber sie lebte... sie lebte.
    Ich hob die winselnden Jungen hoch und legte sie auf ein Tuch, schnitt dann schnell ein paar Haare ab und reinigte die Stelle über der Radialvene. Ich führte die Nadel in die Vene ein und begann mit unendlicher Sorgfalt und sehr langsam den Kolben in die Spritze zu drücken. Bei dieser Krankheit war Kalzium das Heilmittel, doch wenn man es zu schnell injizierte, bedeutete es den sicheren Tod des Patienten.
    Ich brauchte mehrere Minuten, um die Spritze zu leeren. Dann hockte ich mich hin und wartete. In manchen Fällen war außer dem Kalzium auch noch ein Narkotikum erforderlich, und ich hatte Nembrutal und Morphium bereitgelegt. Aber Myrtles Atem wurde ruhiger, und die starren Muskeln begannen sich zu entspannen. Als sie anfing, ihren Speichel hinunterzuschlucken, und als ihre Augen zu mir wanderten, wusste ich, dass sie am Leben bleiben würde.
    Ich wartete, bis das letzte Zittern aus ihren Gliedern geschwunden war. Plötzlich legte sich eine Hand auf meine Schulter, Humphrey stand mit der Whisky-Flasche in der Hand hinter mir.
    »Willst du einen Schluck, Jim?«
    Er brauchte mich nicht zu überreden. Der Schrecken, dass ich beinahe verantwortlich für Myrtles Tod gewesen wäre, war mir in die Knochen gefahren.
    Meine Hand zitterte noch, als ich das Glas hob. Ich hatte kaum den ersten Schluck getrunken, als Myrtle aufstand und zu ihren Jungen ging und sie beschnupperte.
    Manche Eklampsien reagierten langsam auf das Medikament, aber bei manchen wirkte es überraschend schnell. Ich war, meiner Nerven wegen, dankbar, dass es in diesem Fall so schnell gewirkt hatte.
    So schnell, dass es kaum zu glauben war, denn nachdem Myrtle ihre Kinder beschnüffelt hatte, kam sie um den Tisch herum, um mich zu begrüßen. Ihre Augen sahen mich freundlich an, und sie wedelte, nach echter Beagle-Art mit steil in die Höhe stehendem Schwanz.
    Ich streichelte ihr die Ohren, als Humphrey in ein kehliges Gelächter ausbrach.
    »Weißt du, Jim, heute Abend habe ich was gelernt.« Er sprach schleppend, aber er war noch im Besitz seines Verstandes.
    »Und was hast du gelernt, Humphrey?«
    »Ich habe gelernt... hi-hi-hi... ich habe kapiert, was für ein alberner Geselle ich in all diesen Monaten gewesen bin.«
    »Wie meinst du das?«
    Er hob den Zeigefinger und bewegte ihn ernst hin und her. »Tja, du hast es mir ja immer wieder gesagt. Du hast jedes Mal gesagt, ich hätte dich für nichts und wieder nichts aus dem Bett geholt und hätte mir nur eingebildet, dass mein Hund krank sei.«
    »Ja«, sagte ich. »Das stimmt.«
    »Und ich habe dir nie geglaubt, nicht wahr? Ich wollte es nicht hören. Aber jetzt weiß ich, dass du Recht hattest. Ich bin ein Dummkopf gewesen, und es tut mir aufrichtig Leid, dass ich dich in all den vielen Nächten
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher