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Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe - Frascella, C: Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe

Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe - Frascella, C: Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe

Titel: Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe - Frascella, C: Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe
Autoren: Christian Frascella
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– als fürchteten sie, allein mein Anblick könnte den Chef auf der Stelle umbringen – erhob ich mich, und gleichzeitig war mir, als würde ich mit einer Kanonenkugel auf dem Magen sitzenbleiben.
    »Beruhigt euch«, flüsterte ich den beiden zu. Mauro bekam einen Blick von mir, als wollte ich ihm sagen: »Kümmer dich um die Frauen«, dann folgte ich dem breiten Arsch der Neapolitanerin auf den Flur.
    Wir gingen an ihrem Schreibtisch vorbei, ich schielte verstohlen in die anderen Zimmer. »Nichts, was ihn ermüdet, verstanden?«, ermahnte mich die Krankenschwester. Dann trat sie zur Seite, ich schlüpfte durch den Spalt, den die weichen Vorsprünge ihres Körpers frei gelassen hatten, und betrat die Dreiundsechzig.
    Der Chef lag unter einem noch hässlicheren Licht als das der letzten Nacht. Dieses war gelblich und gespenstisch und fiel aus einer Neonleuchte, zusammen mit den Lichtreflexen von den Fensterscheiben, die über sein eingefallenes Gesicht jagten.
    Neben ihm die Schwester, die mir am Abend zuvor wie ein um sein Bett flatternder Schmetterling erschienen war. Jetzt wirkte sie nicht mehr wie ein Schmetterling, sie war nur noch ein müdes Mädchen. Sie machte ihren Job und konnte es wahrscheinlich nicht erwarten, nach Hause zu gehen.
    Sie verließ den Raum, ohne ein Wort zu sagen.
    Die Augen des Chefs waren halb geschlossen, der Ärmel der Schlafanzugjacke hochgekrempelt, damit die Infusion ihre Arbeit tun konnte. Ich blickte an ihm herunter bis auf die Höhe der Leber, wo ein dicker, weißer Verband alles einfacher und sauberer aussehen ließ.
    »Hallo«, sagte er nach einer Weile.
    »Hallo, Chef«, sagte ich. »Wie geht’s dir?«
    »Einigermaßen.«
    Er schien um zwanzig Jahre gealtert. Ich stellte mir vor, wie die zweite Operation ihn zurichten würde, und versuchte, den Geschmack nach Erde herunterzuschlucken, der mir immer wieder in die Kehle steigen wollte.
    Er bewegte schwach einen Finger und zeigte auf den Stuhl an seinem Bett. »Setz dich.«
    Mit dem sorglosesten Gesicht der Welt setzte ich mich auf den Stuhl.
    »Deine Frauen sind da draußen, und es geht ihnen gut«, sagte ich.
    Er nickte kaum wahrnehmbar.
    »Auch Mauro ist da, das ist der, der hinter der Robbe her ist«, fuhr ich fort und schüttelte den Kopf.
    Er warf mir einen seiner berühmten Blicke zu, und eine Sekunde lang war ich sicher, alles würde wieder normal werden. Aber der Blick dauerte nicht lange an, und schon wurde die Gegenwart wieder hässlich.
    »Jedenfalls ist er ein anständiger Junge«, konzedierte ich zum ersten Mal. »Gott, er raubt einem den letzten Nerv bei allem, was er tut, aber man sieht, dass es ihm ernst ist.«
    »Du hast vergessen, ihn einen Bastard zu nennen!«, sagte er, und wir fingen beide an zu lachen. Aber das dauerte auch nicht lange, und plötzlich musste er husten.
    Auf dem Tischchen neben dem Bett stand eine Flasche Wasser. Ich goss ihm etwas ein und beugte mich vor, um den Plastikbecher an seine violetten, trockenen Lippen zu führen. Er öffnete sie ein wenig, ich neigte den Becher. Er beobachtete mich, als wäre dies die erste einer Reihe ganz neuer Gesten, die ich von nun an oft ausführen würde. Und die Vorstellung, mich um ihn zu kümmern, missfiel mir durchaus nicht. Ganz und gar nicht.
    Ich verscheuchte diesen Gedanken, indem ich mir einredete, er würde bald wieder ganz der alte Chef sein, wie eh und je.
    Nachdem er getrunken hatte, sagte er: »Ich glaube nicht, dass diese Operation einfach sein wird.«
    »Aber …«
    Er unterbrach mich, indem er die Hand hob. »Ich meine nicht, dass ich sterben werde. Das könnte passieren, aber es ist nicht das, was ich dir sagen will.« Plötzlich verzog sich sein Gesicht vor Schmerzen, unwillkürlich fuhr seine Hand an die verbundene Stelle, und das musste sehr unangenehm für ihn sein, denn mit einem Satz saß er fast senkrecht im Bett.
    »Er darf sich da nicht anfassen!« Mit dieser Warnung tauchte die müde Krankenschwester von wer weiß woher plötzlich hinter mir auf. Sie legte die Hand des Chefs zurück auf seine Brust, wischte ihm den Schweiß von der Stirn und brachte auch den schmerzverzerrten Ausdruck zum Verschwinden. »Er darf sich überhaupt nicht bewegen«, sagte sie dann zu uns beiden.
    Ich nickte.
    Sie rückte die Decken zurecht, überprüfte die Infusionsnadel und verschwand wieder.
    »Mach dir keine Sorgen«, sagte ich. »Ich weiß, dass du nicht stirbst.«
    Seine Augen wurden feucht, und mein Blick wich zum Fenster aus, das uns von der
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