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Meine Mutter, die Gräfin

Meine Mutter, die Gräfin

Titel: Meine Mutter, die Gräfin
Autoren: Yvonne Hirdman
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mit eng geschnürter Taille? – Was war mit Niva?
    Und da ist von einem »Er« die Rede, einem Lehrer (entscheide ich), der an derselben Mädchenschule in Bukarest tätig ist wie Emilie. Ein Englischlehrer oder Gymnastiklehrer?
    Und ihre Liebesgeschichte wogt hin und her: Er sieht sie nicht – es gibt so viel hübschere Mädel als sie – sie hat ihn verletzt – mit ihren Worten?
    Er liebt sie nicht – »möge Gott mir helfen, die Pein zu ertragen, wenn er mir nicht den schenkt, den ich liebe! Ah! Diese Liebe frisst mich auf! Dieses Bedürfnis, zu lieben und geliebt zu werden! Ah! Du weißt ja nicht, dass mein Herz allein für Dich schlägt! Ah! Der Trost der Liebe! Mein schwacher Wille; welch' grauenhafte Stunden das doch waren, als ich dieser Liebe gewahr wurde!«
    Im Februar 1904 endet dieses Wehklagen mit einem Triumphschrei:

    »Er liebt mich! Wahrhaftig, er liebt mich! Ich weiß es, kann es fühlen – oh, welch' ein Glück! Er liebt mich! Ach, Gott sei Dank! Welch' Freude! Die menschliche Sprache ist doch viel zu dürftig, um ein solches Glück auszudrücken.«

    Fünf Tage später:

    »Ich habe ihn seit dem Ball am Sonntag nicht mehr gesehen – aber ich spüre, dass er dasselbe fühlt und an mich denkt. Ah! Was für geheimnisvolle Konversationen zwei zueinander hingezogene Seelen doch führen können! Ah!
Welch' erlesener Genuss es doch ist, zu spüren, wie sein ganzes Herz einem anderen Herzen entgegenfliegt, sich in der Weite des Raumes, so aneinandergelehnt, sicher aufgehoben zu fühlen … Unsere Gedanken ziehen sich gegenseitig an – wie bei Geliebten –, mein ganzes Leben dreht sich nur noch um ihn […] Wie auserlesen die Liebe doch ist!«

    Acht Tage später:

    »Verstehst Du, oh, mein Lieber, wie all mein Sinn in diesen Unterhaltungen, in denen wir uns so nahe sind, zu Dir spricht?«

    Und zwei Tage später:

    »Tristesse überkommt mich; ich weiß nicht, weshalb meine Seele nun von Abscheu erfüllt ist, wo sie zuvor doch so hoffnungsvoll gebebt hat.«

    Einen Tag später:

    »Alles ist düster, alles fällt ins Nichts, alles stürzt in sich zusammen, alles vergeht […]. Meine Kündigung ist geschrieben und adressiert, muss nur noch abgeschickt werden. Bukarest zu verlassen ist die einzige Hoffnung, die mir bleibt – und diesem von Zwängen regierten Leben zu entfliehen, mir meine Freiheit zurückzuerobern, die man uns mit Gewalt nehmen will. […] Heute hab' ich ihn wiedergesehen – doch nichts, noch nicht mal ein Zeichen. Seine Augen waren nur auf Mademoiselle R. gerichtet und er hat nicht einmal mit mir gesprochen.«

    Gut zwei Wochen später:

    »Ich habe ihn gesehen, bin ihm begegnet und er hat mich gegrüßt; sein Gruß und sein Blick jedoch ließen mir einen eiskalten Schauer über den Rücken rinnen.«

    Einen Monat später, am 24. April 1904, ist dann alles vorbei:

    »Oh, mein Herr, Ihr glaubt wohl, unwiderstehlich zu sein? Wartet nur, dann könnt Ihr was erleben!«

    Und so kehrt die junge Dame im Juni 1904 nach den Examen ihrer Schülerinnen in die Schweiz zurück.
    Nach diesen fragmentarischen Gefühlsausbrüchen zu schließen, scheint es fast so, als hätte Emilie sich diese Liebe nur ausgedacht und sie in der an der Schule herrschenden Treibhausatmosphäre – ein isolierter Frauenkosmos mit geregelten Ausbrüchen ins Vergnügungsleben – für sich kultiviert. So dass allein Blicke, ein Handschlag und ein im Tanz um die Taille geschlungener Arm – voilà tout! – ausreichten, um diesen jungen Frauenkörper, der seinen eingeschlossenen Gefühlen, die zu unterdrücken er gezwungen war, hilflos ausgeliefert war, vor Wollust erschauern zu lassen.
    Aber es scheint ihn wirklich gegeben zu haben und sie scheinen auch richtig miteinander verlobt gewesen zu sein – was »die bessere Gesellschaft« im frühen 20. Jahrhundert gewiss nicht auf die leichte Schulter genommen haben dürfte. Warum also wurde nichts daraus? Ein Verlobungsversprechen zu brechen war damals ein dramatisches Ereignis, vor allem für junge Frauen. An ihre Erstgeborene, Charlotte, schrieb Emilie viele Jahre später in ihren memoirenartigen Briefen vom Krankenbett, dass sie Rumänien »wegen der unerträglichen Beharrlichkeit, mit der mein erster Verlobter mich verfolgte, weil ich ihm wegen seiner widerwärtigen
Habsucht, seines Geizes und seiner Taktlosigkeit den Laufpass gegeben hatte«, verlassen habe.
    Er muss ihr in ihr Heimatdorf gefolgt sein, wo sie sich hingeflüchtet hatte, und gedroht haben, sie wegen
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