Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meine Freundin Jennie

Meine Freundin Jennie

Titel: Meine Freundin Jennie
Autoren: Paul Gallico
Vom Netzwerk:
Straße hinabgleiten, und Dempsey blieb das Wort in der Kehle stecken, als hätte ihm jemand eine Schlinge um den Hals geworfen und sie mit einem Ruck zugezogen. Er saß tatsächlich ein paar Meter von der Rohröffnung entfernt auf dem Straßenpflaster. Aber er sah nicht so groß aus wie ein Löwe. Er sah genauso aus wie das, was er war: ein großer, kräftig gebauter Kater mit einem eckigen, etwas flachen Kopf und auffallend breiten Schultern. Er sah auch keineswegs größer oder kräftiger aus als Peter, der während seines Vagabundenlebens mit Jennie und besonders an Bord der Gräfin von Greenock an Umfang und Gewicht beträchtlich zugenommen hatte.
    Da saß nun der Feind, und das Licht der Straßenlaterne fiel auf sein schmutzig-gelbes Fell, die tiefe Narbe über seiner Nase und die von vielen Straßenschlachten eingerissenen und verbogenen Ohren. Gewiß, er machte schon einen finsteren und gewalttätigen Eindruck, aber im Augenblick war seine Verblüffung noch so groß, daß er sich nicht von der Stelle rührte. Und diesen kostbaren Augenblick hätte Peter wahrnehmen, auf Dempsey zustürzen und ihm sofort an die Gurgel springen sollen, bevor Dempsey sich von seinem Staunen zu erholen oder auch nur darüber klar zu werden vermochte, daß ihm ein Zweikampf bevorstand. Peter brachte das jedoch nicht fertig. Statt dessen sagte er: «Jennie kommt nicht... Du wirst mit mir vorlieb nehmen müssen...»
    Das Wutgebrüll, das Dempsey ausstieß, als er sich jetzt erhob und sich vor Zorn hoch aufbäumte, erinnerte freilich mehr an das Gebrüll eines Löwen, aber Peter jagte er damit keine Angst ein. Nach einer Weile fragte ihn Dempsey heiser: «Mit dir? Wer bist du denn überhaupt?»
    Nein, Peter fürchtete sich nicht mehr vor ihm, denn im Augenblick sah Dempsey kein bißchen anders aus als irgendein gewöhnlicher, herumstreunender Kater, der seine Fassung verloren hat. «Sieh mich nur genau an», sagte er zu ihm. «Du solltest eigentlich noch wissen, wer ich bin, so übel, wie du mich damals zugerichtet hast. Aber jedenfalls bin ich jetzt der Beschützer von Jennie Baldrin.»
    Wieder brüllte Dempsey laut auf, bevor er Peter einen haßerfüllten Blick zuwarf und verächtlich vor ihm ausspie. «Ach so, jetzt besinne ich mich. Du bist der unverschämte Lümmel, der in meinen Kornspeicher eingedrungen war. Nun, ich hab dir ja damals gesagt, daß ich dich umbringen würde, wenn du mir noch einmal über den Weg laufen solltest, und das werde ich jetzt auch tun.» Bei diesen Worten plusterte er nicht nur seinen Schwanz auf, sondern begann am ganzen Körper anzuschwellen, bis er noch einmal so groß aussah.
    Aber Peter sagte nur: «Pah, den Trick kenne ich. Du bist ja gar nicht größer geworden, das ist ja alles nur Luft, was dich so aufgebläht hat», und im selben Augenblick blähte er sich selber auf, bis auch er genau so groß aussah wie Dempsey, der ihn völlig verdutzt anstarrte, weil er nie gedacht hätte, daß Peter dieses Manöver kennen würde. Dann schrumpfte er wieder zu seiner natürlichen Größe ein, und Peter tat es ihm nach, ohne auch nur einen Gedanken an die Stellung zu verschwenden, die er gerade einnahm, oder daran, daß Dempsey diese Zeit dazu benutzen würde, um ihn in eine ungünstige Position zu bringen.
    Und damit beging Peter einen schweren Fehler, denn er unterschätzte seinen Feind. Statt es bei der Feststellung bewenden zu lassen, daß Dempsey gar nicht der übergroße Kater war, als den er sich ihn vorgestellt hatte, hätte Peter lieber daran denken sollen, daß man Dempsey nachrühmte, er sei aus Hunderten von Straßenschlachten als Sieger hervorgegangen, und daß man einen solchen Ruf nicht erwarb, und schon gar nicht in einer der verrufensten Gegenden von der ganzen Welt, wenn man ihn nicht rechtfertigen konnte.
    Ohne sich seine Absichten auch nur im geringsten anmerken zu lassen, schlich der schlaue alte Champion inzwischen am Bürgersteig entlang auf den Rinnstein zu, so daß Peter nun zwischen ihm und den dunklen kahlen Mauern des Lagerhauses stand und ihm nicht mehr auszuweichen vermochte und überhaupt in seiner Bewegungsfreiheit beschränkt war.
    Und im nächsten Augenblick ging Dempsey zum Angriff über, ohne auch nur den leisesten Laut von sich zu geben, der Peter hätte warnen können, geschweige denn eine Drohung oder einen Schlachtruf auszustoßen, und so kam es, daß Peter bereits wenige Sekunden später verzweifelt um sein Leben kämpfen mußte.
    So blitzschnell Dempsey auch gewesen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher