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Meine Freundin Jennie

Meine Freundin Jennie

Titel: Meine Freundin Jennie
Autoren: Paul Gallico
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jetzt den toten Gegner betrachtete, wünschte er aufrichtig, ihn wieder zum Leben erwecken zu können. Doch dann fiel ihm wieder ein, daß dieser Kampf ja auch sein Leben forderte, und mit dem bißchen Kraft, das ihm noch verblieben war, schickte er sich an, den qualvollen Rückweg zu Jennies und seinem Heim anzutreten.
    Weil seine rechte Schulter gebrochen und sein linkes Hinterbein so schwer verletzt war, vermochte er sich nicht länger aufrecht zu halten, sondern mußte, Zoll für Zoll, durch den Schmutz, den Staub und die Spinnweben am Boden des Tunnels kriechen, bis er endlich bei der Öffnung am anderen Ende angelangt war. Er wunderte sich, daß Jennie nicht kam, um ihm zu helfen, doch dann entsann er sich wieder der Regeln für den Zweikampf, laut denen Jennie ihr Heim nicht verlassen durfte, bevor der Überlebende sie holte. Und er fühlte sich viel zu schwach, um sie zu rufen. So kroch er weiter durch die düsteren Korridore, bis er endlich den Verschlag erblickte, in dem er mit Jennie so glücklich gewesen war; und mit diesem Ziel vor Augen raffte er seine allerletzte Kraft zusammen, zwängte sich durch die Latten und zog sich an der roten Seidendecke auf das Bett hinauf, wo er erschöpft umfiel, während Jennie auf ihn zulief und schluchzend ausrief: «Peter! Ach, mein armer, armer Peter! Was hat man dir nur angetan!»
    Dann fing sie sogleich an, seine Wunden sauberzulecken, und weinte dabei leise vor sich hin.
    Peter hob den Kopf und keuchte: «Ich habe Dempsey getötet, aber ich glaube, er hat mich auch zur Strecke gebracht. Leb wohl, Jennie!»
    Und eine Minute später flüsterte er: «Jennie... Jennie... Wo bist du? Ich kann dich nirgends sehen...»
    Denn das Bett, der Baldachin, die aufgestapelten Möbel — alles begann sich um ihn zu drehen und vor seinen Augen zu verschwimmen. Ihm war, als gleite er in einem Fieberschauer in eine dunkle Höhle hinein, aus der er jedoch mit aller Kraft wieder umzukehren versuchte, um noch einmal die Liebe und Zärtlichkeit zu sehen, die aus Jennies tränennassen Augen leuchtete.
    Dann hüllte die Dunkelheit ihn völlig ein, aber obwohl er Jennie nicht mehr sehen konnte, drang durch die schwüle bedrückende Luft, die ihm aus der Höhle entgegenwehte, doch ihre Stimme zu ihm, als sie ihn nun schluchzend anflehte, doch bei ihm zu bleiben.
    «Peter, mein lieber, lieber Peter, verlaß mich nicht! Geh jetzt nicht von mir…»

Ende gut, alles gut

    «Peter! Mein Liebling! Verlaß mich nicht! Geh jetzt nicht von mir...»
    In der Dunkelheit hörte Peter wieder, wie Jennie ihm das flehentlich zurief. Aber war das wirklich Jennies Stimme? Sie klang irgendwie anders, wenn auch ebenso herzzerreißend und liebevoll. Und es waren ja auch fast dieselben Worte, mit denen Jennie ihn eben noch angefleht hatte — aber noch nie hatte Jennie ihn Liebling genannt…
    «Peter! Peter, Liebling! Kannst du mich nicht hören?»Wie zärtlich diese Stimme auf ihn einsprach und ihn wachzuhalten versuchte! Es war nur soviel leichter, sich in das tröstliche Dunkel des Schattenreichs hinübergleiten zu lassen, in dem es keine Schmerzen, keine Kämpfe mehr gab, weder Hunger noch Durst und auch keine einsamen Nächte, in denen man obdachlos und zitternd vor Kälte umherirrte. Peter wünschte sich nichts sehnlicher, als daß diese wohltätige Finsternis ihn für immer in Schlaf lullte. Er war so müde. Aber wieder drang diese flehende Stimme zu ihm und beschwor ihn, aufzuwachen.
    «Peter... Peter… Komm zu mir zurück!»
    Jemand schluchzte, aber es klang nicht wie Jennies leises Weinen, das ihm so zu Herzen gegangen war. Diese schmerzerfüllten Laute verrieten ihm, daß da jemand tief unglücklich und verzweifelt war und sogar noch mehr gelitten hatte als er selbst. Er schlug die Augen auf, um zu sehen, wer das wohl sein mochte.
    Wie merkwürdig — offenbar lag er jetzt in einem hell erleuchteten Raum, aber alles drehte sich um ihn, die hohe weiße Zimmerdecke, Lampen, Gesichter, Menschen, und doch glaubte er einen Augenblick lang das Gesicht seiner Mutter zu erkennen.
    Er senkte sofort die Lider, weil ihn das helle Licht so blendete, doch als er wieder aufsah, wußte er sofort, daß er tatsächlich seiner Mutter in die Augen blickte. Wie sanft, wie gütig und wie zärtlich schaute sie ihn an, genau so liebevoll wie Jennie. Und auch in ihren Augen schimmerten jetzt Tränen, wie in Jennies Augen.
    «Peter! Mein Liebling, mein armer kleiner Peter! Du erkennst mich also doch...?» Ja, das war die
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