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Meine Freundin Jennie

Meine Freundin Jennie

Titel: Meine Freundin Jennie
Autoren: Paul Gallico
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seinem Mut und seiner Tapferkeit hätte großtun können, konnte er sich ungescheut eingestehen, daß er Angst hatte. Ja, er fürchtete sich vor dem, was ihn draußen auf der Straße erwartete, fürchtete sich vor den Schmerzen, die er erleiden, vor den Bissen und Hieben, den betäubenden Schlägen und mörderischen Umklammerungen, die er würde hinnehmen müssen, und er fand es einfach unwürdig, sich solchen Angriffen und Überfällen aussetzen zu sollen und gezwungen zu werden, so unmenschlich zu sein, daß er selbst nur darauf bedacht sein würde, seinen Gegner zur Strecke zu bringen. Es wurde ihm in diesem Augenblick nicht klar, daß dies für einen Menschen ganz natürliche Gedanken waren und er, obwohl er jetzt in einem Katzenfell steckte und nicht mehr auf zwei, sondern auf vier Beinen lief und scharfe Krallen und Zähne hatte, noch immer ein Junge war, der eines Tages ein Mann sein würde und nicht ein rauflustiger alter Kater wie der, den er jetzt gleich zum Kampf herausfordern wollte. Aber hätte er sich das auch klargemacht, würde ihm das doch nicht viel genützt und weder die Gefahren, die er sich so lebhaft ausmalte, verringert noch seine peinvollen Erinnerungen an den gewalttätigen Dempsey verdrängt haben.
    Denn während er dort im Dunkeln auf seinen Feind zukroch, ertappte Peter sich dabei, daß er Dempsey eine Kraft und eine Größe andichtete, die dieser gar nicht besaß. In seiner Phantasie wurde Dempsey jetzt so groß wie der Löwe, den er auf dem Rummelplatz gesehen hatte, mit Krallen aus Stahl, die so lang und so gebogen und so scharf waren wie die Instrumente eines Chirurgen, und mit riesigen gelben Fängen, von denen Gift tropfte. Dempseys Augen wurden plötzlich so groß wie Suppenteller und versprühten tödliche Blitze. Und trotzdem dachte Peter nicht daran, auch nur eine Sekunde lang anzuhalten oder gar umzukehren, sondern schlich mit diesen wundervoll beherrschten langsamen Bewegungen, die Jennie ihm beigebracht hatte, immer näher auf den Kampfplatz zu, wo die furchterregende Erscheinung, die er sich zusammenphantasiert hatte, auf ihn wartete.
    So gelangte er aus dem niedrigeren Tunnel in das breitere Eisenrohr, wo er ganz dicht vor sich schon im Lichtschein der Straßenlaterne an der Ecke die Straße liegen sah.
    Und da hörte er plötzlich auf, sich zu fürchten, oder vielmehr, den Gedanken an seine Angst nachzuhängen, denn jetzt hatte er an Wichtigeres zu denken, nämlich daran, wie er aus der Öffnung herauskriechen konnte, ohne Dempsey eine Chance zu geben, ihn hinterrücks zu überfallen. Er überlegte sich, wie es ihm wohl ergehen würde, wenn Dempsey auf den Gedanken kommen sollte, den Kopf in das Rohr hineinzustecken, um sich zu vergewissern, daß es auch wirklich Jennie war, die da ankam, und Peter hatte plötzlich die schreckliche Vision, daß im nächsten Augenblick das Rohr in seiner vollen Breite von dem riesigen, narbenübersäten, höhnisch grinsenden Katergesicht ausgefüllt sein würde. Aber dann fiel ihm wieder ein, daß Jennie ihm versichert hatte, Dempsey sei ein viel zu erfahrener alter Haudegen, um seinen Kopf in irgend etwas hineinzustecken, was er nicht kannte, noch dazu nachts, und außerdem hörte Peter jetzt wieder den langgezogenen Schrei: «Jennie, komm heraaaaaus!»
    Er kauerte sich also, wie Jennie ihm geraten hatte, im Rohr dicht vor die Öffnung, um erstmal mittels seiner Schnurrhaar-Antennen jede Nachricht aufzufangen, die ihn darüber informieren konnte, wie es auf dem in Aussicht genommenen Kampfplatz aussah.
    Die Uhr von St. Dunstan begann zu schlagen, und Peter zählte fast automatisch die Schläge: Sechs-sieben-acht-neun-zehn-elf-zwölf! Es war also genau Mitternacht. Seine hochempfindlichen Schnurrhaare zuckten und vermittelten ihm, daß Dempsey da war, sich aber nicht in unmittelbarer Nähe des Ausgangs vom Lagerhaus befand, und er vermutete, daß Dempsey mindestens in einer Entfernung von ein paar Metern der Rohröffnung gegenüber auf der Straße saß.
    Durch seine Schnurrhaare erfuhr Peter auch, daß sich zur Zeit kein anderes Lebewesen auf der Straße aufhielt, kein Mensch, kein Hund, nicht einmal ein schlafender Sperling.
    Es waren auch keine Schritte zu hören und nicht das geringste Geräusch von einem vorüberfahrenden Wagen. Sämtliche Sterne standen am Himmel, aber der Mond hatte einen Hof, und das war ein Zeichen, daß es bald regnen würde.
    «Komm heraaaaaus, meine Jennie, komm...»
    Peter ließ sich aus der Rohröffnung auf die
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