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Meine erste Luege

Meine erste Luege

Titel: Meine erste Luege
Autoren: Marina Mander
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Zahnbürste, um den ekligen Geschmack auf meiner belegten Zunge loszuwerden, ich habe das Gefühl, hunderttausend Kurven im Auto gefahren oder von der Achterbahn gefallen zu sein.
    Mir ist immer noch kalt. Vielleicht habe ich Fieber. Drüben machen alle Lärm, der Typ von den Fernsehnachrichten, der aus dem Radio und Jovanotti, der vom Regen singt, piove, guarda come piove . Mama drückt mir immer die Lippen auf die Stirn, wenn sie wissen will, ob ich Fieber habe, aber das kann ich allein nicht tun, schöner Schweinsdreck. Ich hole das Thermometer aus dem Arzneischränkchen, schüttle es runter, aber bevor ich es mir unter die Achsel stecke, überlege ich es mir anders. Es bringt ja nichts, jetzt Fieber zu haben. Ich drücke meine Stirn auf den Rand des Waschbeckens, es ist angenehm, frisch. Ich bleibe ewig lang so gebückt stehen, bis mir der Rücken wehtut wie alten Leuten. Blu ist in der Tür, er sieht mich an, begreift aber nichts, miaut, doch er hat keine Stimme, nicht einmal er weiß mehr, was er sagen soll.
    Ich bin erst ganz kurz wieder wach, aber ich bin todmüde, ich müsste Hausaufgaben machen, aber ich weiß nicht, ob ich es schaffe. Man kann keine Hausaufgaben machen, wenn einem die Mama gestorben ist, aber das ist keine gute Entschuldigung, denn ich kann sie ja nicht gebrauchen. Es muss ein Geheimnis bleiben, ein allergeheimstes Geheimnis unter uns. Ich will nicht in einem Heim landen.
    Es war einmal ein Mädchen, verlassen, in einem Waisenhaus, in einer Geschichte, die Mama mir vor Jahren vorgelesen hat, und nachts versteckte es sich unter den rauen Decken, die ihm das Kinn und die Wangen zerkratzten. Sie war traurig, weil keiner sie gernhatte, und dann rettete sie ein guter Riese, der nur Weingummi-Gurken aß. Der Riese kam durchs Fenster rein und nahm sie mit, und sie war nicht länger eine von tausend Waisen, sondern die Tochter eines großen, dicken Riesen, doch ich glaube nicht an Riesen, nolens volens, wie Mama sagen würde, glaube aber nicht mehr daran.
    Ich muss meine Hausaufgaben machen, ich kann nicht riskieren, dass man Verdacht schöpft.
    In der Schule, da ist einer gewesen, der hat erzählt, dass er nicht geübt hat, weil seine Tante einen Zusammenbruch hatte. Dann haben sie entdeckt, dass es überhaupt nicht stimmte, und dann haben sie eine Menge Gespräche mit ihm geführt, um zu kapieren, warum er so schlimm gelogen hatte. Er hat eine ganz schlechte Note in Betragen gekriegt. Und die Tante hat es ihm außerdem sehr übel aufgenommen, weil sie war kein bisschen gebrechlich.
    Das Telefon klingelt wieder. Ich laufe und mache ein bisschen von dem Lärm aus. Es ist noch mal Giulia.
    Â»Mama hat gesagt, sie ruft dich morgen zurück, sie macht gerade Essen.«
    Â»Ist nicht wichtig, ich reise gerade ab. Ich mache Urlaub, so Gott will. Ich bin schon am Flughafen und komme in zwei Wochen zurück. Grüß die Mama und gib ihr einen Kuss von mir, und sei du artig.«
    Â»Ja, schick uns eine Postkarte.«
    Giulia verabschiedet sich in einem scheißfröhlichen Ton von mir. Sie merkt nichts, sie hat was anderes im Kopf.
    Scheißessen. Ich glaube, ich esse nie wieder. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Es ist das erste Abendessen ohne ein guten Appetit. Es ist die erste Nacht ohne eine gute Nacht. Seit langer Zeit, vielleicht seit immer. Ich muss mich daran gewöhnen, auf Mama zu verzichten, die mir zart über die Wange streicht, und ihr Kuss ist eigentlich eher ein Atmen, ein warmer Hauch, der Glück bringt. Ich beschließe, auf der Couch zu schlafen. Gute Nacht, Zimmer, gute Nacht, Spielzeuge, die überall herumliegen, Bären auf dem Regal, die heimlich lachen und mich anschauen.
    Â»Was seid ihr doch für dumme schlappe Zweibeiner.«
    Gute Nacht, alle Sachen, die ich dalasse.
    Ich nehme nur den Koala.
    Â»Und was meinst du dazu?«
    Kolly antwortet nicht, er ist bestimmt beleidigt, weil ich ihn, seit es Blu gibt, nicht mehr nach seiner Meinung frage.
    Kolly ist ein alter Koala aus echtem Koala mit einer braunen Nase, die immer kalt ist, ein Bekannter von Oma aus Australien hat ihn mir geschickt.
    Â»Mein allerliebster Freund aus der Jugendzeit, weißt du? Er war ein schöner Mann, und außerdem ein erstklassiger Tänzer, aber dann ist er fort, und ich habe ihn nie wiedergesehen.«
    Oma ist schon ein bisschen weggetreten und redet ohne Ende: allerliebster Freund, Australien, Australien
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