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Meine 500 besten Freunde

Meine 500 besten Freunde

Titel: Meine 500 besten Freunde
Autoren: Johanna Adorján
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Autor 2 hatte ebenso einhellig negative Jurybewertungen bekommen. Autor 3 ganz unterschiedliche. Einiges war bemerkenswert gefunden worden, anderes oder selbiges von anderen noch ausbaufähig, aber dennoch nicht uninteressant. Den Preis bekam Autor 3, da, so die Jurybegründung, »Literarisches, das allzu eindeutig bewertet wird, selbst wenn dies positiv ist, nicht unbedingt gut sein muss«, im Gegenteil rufe dies »Argwohn« hervor.
    Darunter hatte ich, wie ein Gedicht gesetzt, notiert:
    Nach dunkler Nacht /
    Folgt heller Tag
    Dies ist der für mich heute nicht mehr zu deutende [r z#00118 letzte Eintrag, den ich in meinem Tagebuch finde, anschließend gab ich das Tagebuchschreiben auf, wie ich so vieles in meinem Leben begonnen und wieder aufgegeben habe.
    Gleich am folgenden Tag brachte ich einiges über Ebbinghaus in Erfahrung. Bei seinem ersten Film hatte er noch selbst Regie geführt, offenbar war es ein eher zu vernachlässigendes Werk, das wenn überhaupt irgendeinem, dann am ehesten dem Splattergenre zuzuordnen war. Die Kritiker hatte es seinerzeit ratlos hinterlassen, »hermetisch« war noch das freundlichste Adjektiv, zu dem sich einer von ihnen hatte durchringen können. Als Nächstes hatte er das Debüt eines jungen Regisseurs produziert, das – obwohl es zugleich dessen letzter Film sein sollte – noch heute in Videotheken bisweilen unter der Rubrik »Sehenswert« zu finden war: »Tiefe Wasser sind still«, ein Titel, hinter dem sich offenbar eine Scheidungsgeschichte verbarg, an deren Ende nicht weniger als drei Tote zu verzeichnen waren. Vor allem für die Hauptdarstellerin sollte dieses Werk den Durchbruch bedeuten, und dass ihr Name mir nichts sagte, mochte daran liegen, dass sie anschließend ausschließlich in Italien drehte und dort den Namen ihres Ehemanns annahm. Ebbinghaus’ dritter Film sollte zugleich der frühe Höhepunkt seiner Karriere gewesen sein: »Die Farben der Unendlichkeit«, ein halbdokumentarisches Kammerspiel über eine Schwabinger WG, deren Sexszenen selbst für das München der damaligen Zeit offenbar ungewöhnlich explizit waren. Aufgewühlt beschloss ich, mir diesen Film in der Videothek zu leihen.
    Es verstrichen einige Wochen, ohne dass ich Ebbinghaus erneut begegnete. Sein Film, den ich nur antiquarisch im Internet hatte auftreiben können, hatte mir nicht gefallen, wenngleich ich zu erahnen meinte, was zu seiner Entstehungszeit daran revolutionär gewesen sein mochte. Tatsächlich gab es offenbar echte oder doch sehr realistisch wirkende Sexszenen, doch verglichen mit jenen aus Filmen etwa von Patrice Chereau oder Virginie Despentes erschienen sie mir reichlich bemüht. Andere seiner Werke zu sehen, was einiges an organisatorischem Aufwand bedeutet hätte, hatte ich mir nicht die Mühe gemacht, ich wollte erst abwarten, ob sich ein Interview ergab. Dann sah ich ihn eines Morgens in Begleitung einer eleganten Frau im Hausflur. Dem Alter nach konnte sie seine Mutter sein, wenngleich sein Verhalten ihr gegenüber nahelegte, dass sie es nicht war. Zu eilfertig war die Art, in der er ihr die Tür aufhielt, zu höflich das Lachen, mit der er eine Bemerkung von ihr quittierte, die sie zu leise gemacht hatte, als dass ich sie hätte verstehen können. Natürlich grüßte er auch diesmal nicht, seine Begleiterin immerhin musterte mich mit einem interessierten Blick.
    Dann bekam ich ihn lange Zeit nicht zu Gesicht. Nach einer Weile begann die Wurfpost, von der wir in diesem Haus haufenweise bekamen, aus seinem Brieffach herauszustehen, erst nur einige wenige bunte, zum Teil in Plastik eingeschweißte Ecken, dann immer mehr, bis schließlich eines Tages ein Stapel an ihn adressierte Post auf dem Gemeinschaftsbriefkasten obenauf lag, weil nichts mehr hineinpasste und der Briefträger offenbar die Nerven verlor.
    Irgendwann vergaß ich die Sache, vergaß Ebbinghaus und mein ehrgeiziges Portraitprojekt. Ich begnügte mich wieder damit, über kleinere Ereignisse des Berliner Kulturlebens zu schreiben, besuchte Vernissagen, wohnte Versteigerungen bei. Zu den seltenen privaten Einladungen, die ich bekam, ging ich in der immer dringlicher werdenden Hoffnung, mich zu verlieben, bis ich auch das aufgab, kaum noch ans Telefon ging, das ohnehin fast nie klingelte, und die meisten Abende alleine vor dem Fernseher saß. Während junge, eifrige Kollegen mit großen Deutungsstücken über das Weltgeschehen gespiegelt am Werk von Slavoj Z [ vosehizek/Pierre Bourdieu/Jacques Derrida an mir
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