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Meine 500 besten Freunde

Meine 500 besten Freunde

Titel: Meine 500 besten Freunde
Autoren: Johanna Adorján
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vorbeizogen, nahm man von mir beruflich nur noch Notiz, wenn ich einmal wieder nicht zur Konferenz erschien, weil ich, was damals immer öfter vorkam, am Morgen wieder nicht aus dem Bett gekommen war, niedergestreckt von der Absurdität meines Daseins, außer Gefecht gesetzt von der Sinnlosigkeit, die mich umfing und mir jeden Antrieb nahm, sobald ich den Fehler beging, über mein Leben nachzudenken, was in schlaflosen Nächten mit grausamer Regelmäßigkeit geschah.
    Es wurde Sommer, Herbst und wieder Winter. Nach Weihnachten hatte irgendjemand Ebbinghaus’ Namensschild vom Briefkasten entfernt, eines Tages klebten dort nur noch die Ränder des Papiers. Doch der Haufen an Wurfpost in seinem Fach schien sich nicht zu verändern, es waren immer dieselben farbigen Ecken, die herausragten, seit Wochen, Monaten, bald einem Jahr. Ich begann, darauf zu achten, ob abends je bei ihm Licht brannte, ob sich etwas hinter seinen immer zugezogenen Gardinen tat. Mehr als einmal löschte ich dafür bei mir das Licht, um unbemerkt zu bleiben, öffnete das Fenster und sah zu seiner Wohnung, wofür ich mich hinauslehnen musste, weil Rück- und Vorderhaus im Eck zueinander standen. Doch nie regte sich etwas, die Wohnung schien leer zu stehen. Einmal fragte ich sogar einen Nachbarn aus dem Hinterhaus, mit dem ich zuvor nie gesprochen hatte, nach Ebbinghaus’ Verbleib. Doch der, ein schlanker, weißhaariger Mann, den ich bisweilen mit Tennisschläger durch den Hof laufen sah, zuckte nur mit den Schultern und sagte, er wisse von nichts.
    Unterdessen waren weitere neue Mieter in unser Haus gezogen. Offenbar hatten andere Menschen Leben, in denen sich etwas bewegte, sie heirateten, erwarteten Nachwuchs, zogen in größere Wohnungen in Gegenden, die familiärer waren, nicht so abstrakt wie das Viertel, in dem ich lebte, das keine eigentliche Wohngegend war. Es gab keinen Schreibwarenladen, keine Metzgerei oder Reinigung. Stattdessen Coffeeshops, die am Wochenende geschlossen hatten und Apotheken und Brillenläden im Überfluss. Im Obergeschoss des Vorderhauses wohnte jetzt ein Mann, der von dem Messingschild, das kurz nach seinem Einzug neben den Klingeln angebracht war, als Coach ausgewiesen wurde, Spezialgebiet Krisenmanagement und Mediation. Meinem direkten Nachbar, einem ruhigen Mann mit Schnurrbart, den ich gelegentlich sonntags durchs Fenster in Jogginganzug in Richtung Tiergarten hatte laufen sehen, war eine Frau etwa meines Alters nachgefolgt, ohne dass er sich verabschiedet oder sie sich vorgestellt hatte. Und im Souterrain gingen plötzlich übernächtigt wirkende junge Männer aus und ein, die schon frühmorgens hinter halb herabgelassenen Jalousien vor flimmernden Computerbildschirmen saßen, ich nahm an, sie programmierten etwas, gefragt habe ich sie nie danach. Wie ich es mir auch abgewöhnt hatte, im Treppenhaus zu grüßen.
    Sogar in meiner Redaktion hatte sich das eine oder andere getan. Unser Filmredakteur war zu einer anderen Zeitung gewechselt; statt einem hatte ich nun zwei Redaktionsleiter, was die Arbeit verdoppelte statt sie zu halbieren. Die fröhliche Grafikerin hatte Zwillinge bekommen und war durch einen schweigsamen Österreicher ersetzt worden, dessen Geschmack nicht der der Redaktionsleiter war. Mein Zimmernachbar hatte geheiratet und war die meiste Zeit über mit Buchprojekten beschäftigt, angeblich arbeitete er außerdem an einem Drehbuch über den Medienbetrieb. Als ich ihn einmal darauf ansprach, lächelte er nur. Nina, außer mir die einzige Frau im Ressort, war schwanger und fieberte dem Tag entgegen, an dem sie in den Mutterschutz gehen würde. Es gab einen neuen, jungen Kollegen, der für Film zuständig war, sich durch großen Eifer hervortat und selbst durch die nunmehr zwei täglichen Konferenzen nicht zu demotivieren war. Alle paar Monate kam ein Schwung neuer Praktikanten, [rakchutz zumeist junge, hoffnungsvolle Frauen, die sich für ihre sinnlose Arbeit, die in der Hauptsache aus Herumsitzen bestand, herausputzten, als rechneten sie mit Fotografen. Besonders eine ist mir in Erinnerung, Angela, die sich Angie nannte, aus vermögendem Elternhaus stammte und mit mindestens zwei meiner Kollegen schlief.
    Nur ich schien auf der Stelle zu stehen.
    Und dann kam auf einmal wieder Bewegung in die Ebbinghaus-Story. Es fing damit an, dass eines Morgens sein Briefkasten aufgebrochen war. Vielleicht war er es auch am Vorabend schon gewesen, doch ich entdeckte es an einem dunklen Wintermorgen, als ich, wie
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