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Mein Wille geschehe

Mein Wille geschehe

Titel: Mein Wille geschehe
Autoren: Susan Sloan
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gegensätzlich -
    Judith war klein und dunkelhaarig, Dana hochge-
    wachsen und blond –, sie unterschieden sich auch
    charakterlich in einem wesentlichen Punkt. Judith war großgezogen worden mit der Vorstellung,
    dass der Mann an ihrer Seite ihre Persönlichkeit
    ausmache, Dana hingegen hatte man beige-
    bracht, auf eigenen Füßen zu stehen.
    »Ich finde immer noch, dass es eine gute Idee
    wäre, eine Galerie aufzumachen«, sagte Dana.
    Seit zwei Jahren bemühte sie sich, der Freundin
    finanziell auf die Beine zu helfen. Judith konnte sich immer einmal wieder Geld von ihrer Mutter
    borgen, damit sie etwas zu essen hatten, und
    Dana hatte ihr mehrere Bilder abgekauft und da-
    für gesorgt, dass die Miete bezahlt werden konn-
    te. Doch so konnte es nicht weitergehen.
    Seit einiger Zeit hatte Dana die Vorstellung von
    einer Galerie, die sie mitfinanzieren würde, ohne an der Organisation beteiligt zu sein, da sie von Kunst so gut wie nichts verstand. »Das wäre
    mein Traum«, erwiderte Judith. »Aber woher soll
    ich das Kapital nehmen? Und ich bezweifle, dass
    irgendjemand bereit wäre, mit mir so ein Wagnis
    einzugehen.«
    »Wer weiß«, sagte Dana, als die Pasta serviert
    wurde. »Vielleicht hat das Schicksal ja ein Einsehen.«
    »Das wäre echt schön«, sagte Judith und seufzte.
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    3
    Den Sommer mochte Joshua Chine am liebsten.
    Dann war es nicht mehr kalt, die Nächte wurden
    mild, und es gab viele gute Plätze, an denen man
    schlafen konnte. Und wenn die Touristen kamen,
    gab es auch mehr Geld. Mühsam war die Zeit von
    Oktober bis April, weil die Plätze unter den Fuß-
    gängerbrücken und im Busbahnhof dann oft be-
    setzt und die Missionen überlaufen waren.
    Im Sommer tat ihm auch die große Narbe nicht
    so weh, die von seiner Schläfe zum Kinn verlief.
    Er hoffte, dass sie nicht so sehr auffiel unter seinem langen braunen Haar und den rötlichen
    Bartstoppeln, aber er selbst konnte sie nicht vergessen – sie würde ihn immer daran erinnern,
    wie vor Jahren ein Auto in die Toreinfahrt ge-
    schlittert war, in der er schlief.
    Doch im Winter litt Joshua.
    Er kam aus Wisconsin und war nach Westen ge-
    wandert. Er war zu Fuß gegangen oder hatte sich
    mitnehmen lassen, wenn jemand anhielt. In Se-
    attle, am Ende des Kontinents, angelangt, war er
    geblieben. Jemand hatte ihm geraten, weiter
    nach Süden zu ziehen, nach Kalifornien, wo die
    Leute reich waren und das Wetter schön und wo
    er sich in der Sonne bräunen lassen und ein biss-
    chen Fleisch auf die Knochen bekommen konnte.
    Doch er war des Reisens müde, und Seattle sagte
    ihm zu. Er lernte Menschen wie Big Dug kennen,
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    einen riesigen Burschen mit schwarzem Vollbart,
    der ihm die Kniffe und Tricks erklärte und ihm
    den Einstieg erleichterte. Big Dug misstraute den Obdachlosenheimen der Stadt. Er meinte, man
    höre zu viele üble Geschichten, was da alles pas-
    sieren würde, weil sie zu wenig Aufpasser hätten.
    Mit Hilfe von Big Dug legte sich Joshua einen ge-
    räumigen Karton zu, der zuvor einen Schreibtisch
    enthalten hatte. Dann suchte er sich auf einer
    Müllkippe eine Plastikplane, die er auseinander
    schnitt. Eine Hälfte legte er unter den Karton,
    damit er von unten trocken blieb, die andere be-
    nutzte er als Dach, damit Wind, Regen und Kälte
    nicht in seine Behausung drangen. Für ein paar
    Dollar erstand er schließlich bei einem Trödler
    eine Decke.
    »Ein behagliches Zuhause«, erzählte er jedem
    mit frohem Grinsen.
    Big Dug zeigte ihm, wo es Toiletten gab und wo
    er baden konnte, wenn ihm der Sinn danach
    stand, und er zeigte ihm Hill House. Sie gingen
    die Madison Street bis zur Boren Avenue entlang,
    und der große Mann wies auf eine prachtvolle
    graue Villa an der Ecke.
    »Ist eine Art Klinik, aber nicht nur das«, erklärte Big Dug. »Am Hafen stellen die eine Suppenkü-
    che auf, da gibt’s jeden Abend was Warmes zu
    essen, und zwar was Gutes, keine Pampe. Wenn
    du’s mit Drogen hast, helfen sie dir, davon run-
    terzukommen. Wenn du arbeiten willst, helfen sie
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    dir bei der Jobsuche. Und wenn du krank bist,
    kümmern sie sich um dich. Und es kostet dich
    nix, wenn du keine Kohle hast. Bloß dass wir da
    schlafen, das wollen sie nicht. Das ist ’ne feste Regel, die kennen wir alle, und wir halten uns
    dran.«
    »Warum ist das die Regel?«
    »Hat wohl was mit Versicherung zu tun«, sagte
    Big Dug. »Für den Fall, dass es ’n Feuer gibt oder so und einem was passiert.«
    »Kann ich deshalb nicht da rein?«,
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