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Mein Wille geschehe

Mein Wille geschehe

Titel: Mein Wille geschehe
Autoren: Susan Sloan
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lächelte.
    »Keine Ursache.«
    Heradia erhob sich. »Ich würde Sie wirklich gern
    zum Lunch einladen oder so«, sagte er, »aber ich
    muss zurück in die Klinik. Können wir das bei Ge-
    legenheit nachholen?«
    »Na klar.«
    Dana begleitete ihn zum Ausgang und nickte ihm
    an der Tür noch einmal aufmunternd zu.
    Als sich die schwere Eichentür hinter ihm ge-
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    schlossen hatte, beugte sich Angeline Wilder, Re-
    zeptionistin der Anwaltskanzlei Cotter, Boland
    und Grace, über ihren Tisch. »Ist das nicht einer der Abtreibungsärzte vom Hill House?«, raunte
    sie. »Ach ja?«, antwortete Dana ausdruckslos.
    »Ich dachte, er sei Gynäkologe.«
    »Wäre beides möglich«, gab Angeline zu. »Aber
    irgendwas in der Art.«
    »Woher wollen Sie das wissen?«, erkundigte sich
    Dana. »Tragen die Ansteckschilder, oder kennen
    Sie sie alle persönlich?«
    »Meine Güte, nein«, antwortete Angeline. »Kürz-
    lich kam ein Beitrag über die Klinik in den Nach-
    richten. Da haben sie berichtet, wie viele Abtreibungen die jährlich durchführen, und er war einer von den Ärzten, die sie gezeigt haben.«
    »Aha.«
    »Ist er etwa ein Mandant von uns?«
    »Vielleicht«, sagte Dana. »Sie sollten also lieber ganz höflich zu ihm sein, falls er noch mal
    kommt. Man weiß nie, ob er nicht im nächsten Moment eine Kürette zückt.«
    »Was ist denn das?«, fragte die Einundzwanzig-
    jährige.
    »Das muss man nur wissen, wenn man schwan-
    ger ist«, erwiderte Dana.
    Die junge Frau errötete heftig, was bei ihren ro-
    ten Haaren recht sonderbar aussah. »Na, also
    das bin ich jedenfalls nicht. Ich bin ja nicht mal verheiratet.«
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    »Dann brauchen Sie auch nicht mehr darüber
    nachzudenken.«
    Die Anwältin ging zu ihrem Büro zurück und
    schüttelte den Kopf. Joseph Heradia war seit
    zwölf Jahren ihr Gynäkologe, und sie konnte sich
    keinen gütigeren, liebenswürdigeren, achtbareren
    Mann vorstellen.
    Sie dachte an das Paar mit dem Kinderwunsch.
    Auch das mochten anständige Leute sein, die e-
    ben einfach verzweifelt waren. Und wer verzwei-
    felt war, verhielt sich manchmal unberechenbar.
    Sie schlug in ihrem Rolodex deren Telefonnum-
    mer nach und griff gerade nach dem Hörer, als
    die Gegensprechanlage summte. »Ja, was gibt’s,
    Angeline?«
    »Ms Purcell ist hier«, meldete sich die junge Frau.
    »Sie meint, es sei schon halb zwei, und entschul-
    digt sich, weil sie sich verspätet hat.«
    »Sagen Sie ihr, ich komme sofort runter.«
    Dana und Judith Purcell trafen sich zum Mittages-
    sen, seit man sie zu Beginn der zweiten Klasse in der Schule zusammengesetzt hatte. Früher hatte
    dieses Ereignis täglich stattgefunden; doch seit
    sie beide in Seattle arbeiteten, trafen sie sich
    meist ein Mal in der Woche. Die beiden waren
    schon so lange eng befreundet und kannten sich
    so gut, dass sie kaum etwas voreinander verber-
    gen konnten.
    »Du hast den Auftrag nicht gekriegt, wie?«, frag-
    te Dana, als sie sich an ihrem gewohnten Fens-
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    tertisch im »AI Boccolino«, ihrem bevorzugten
    Lunch-Treffpunkt, niedergelassen hatten.
    »Nein«, bestätigte Judith. »Das Konzept fanden
    sie toll, aber den Preis nicht. Sie wären wohl eingestiegen, wenn ich runtergegangen wäre, aber
    ich hatte es schon ganz knapp kalkuliert.«
    Judith war eine begabte Bildhauerin, die aber
    noch keinen Namen hatte. Sie hatte sich bei einer Ausschreibung für die Gestaltung der Eingangshalle des neuesten Bürohauses am Hafen bewor-
    ben und dafür eine Skulptur entworfen, die aus
    Glas, Stahl und Keramik bestand und graue Wale
    darstellte. Bei ihrer Kalkulation hätte sie für achtzehn Monate ihre Grundkosten decken, aber
    nichts beiseite legen können. Als Judith noch verheiratet war, hatte sie ihren kreativen Impulsen
    nachgeben können, ohne sich um Geld kümmern
    zu müssen. Doch ihr erster Mann war überra-
    schend an einem Herzinfarkt gestorben, und von
    ihrem zweiten ließ sie sich nach recht kurzer Zeit scheiden. Nun musste sie selbst den Lebensunterhalt für sich und ihren zwölfjährigen Sohn An-
    dy verdienen, und mit der Kunst schien das
    schwer machbar zu sein.
    »Das tut mir aber Leid«, sagte Dana. »Ich dach-
    te, den hättest du in der Tasche.«
    »Tja, das dachte ich auch«, sagte Judith und
    zuckte die Achseln. »Aber ich bin einfach selbst
    schuld. Statt einen anständigen Beruf zu erlernen wie du, hab ich eben geglaubt, ich könnte mich
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    von Männern ernähren lassen.« Judith und Dana
    waren nicht nur äußerlich sehr
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