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Mein Wahlkampf (German Edition)

Mein Wahlkampf (German Edition)

Titel: Mein Wahlkampf (German Edition)
Autoren: Oliver Maria Schmitt
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orderten Getränke und kondolierten brav und ohne übergroße Häme, so wie sich das unter Demokraten gehört. Als ich der frischgebackenen Ex-Oberbürgermeisterin Petra Roth die Hand schüttelte, nahm sie mich unbarmherzig in den Politikergriff und erklärte mir so laut, dass sämtliche sie umlagernde Parteigranden es hören konnten, wie schlecht und unprofessionell der Wahlkampf ihrer eigenen Partei geführt worden war. Ich dankte ihr für die offenen Worte, schenkte ihr meine restlichen Zigaretten und zog von dannen.

    Noch in der Wahlnacht sank ich zusammen und implodierte. Die Anspannung war weg, die Luft raus, der Akku leer. Ich war platt, planiert und ausgelaugt. Panisch verließ ich die Stadt und steuerte ein Kloster an, das mir für einen Erholungsaufenthalt empfohlen worden war. Die frommen Brüder versprachen «rekreative, spirituelle Ruhe und Rückbesinnung auf das Wesentliche» – doch logierte dort, wie ich vor Ort erfuhr, seit einiger Zeit auch Christian Wulff, und mit dem wollte ich auf keinen Fall gesehen werden.
    Also fuhr ich wieder nach Hause und schloss mich in meiner verwaisten Wohnung ein. Am Kühlschrank hing noch der Zettel, den mir die Gattin zurückgelassen hatte: «Die Politik oder ich – du musst dich entscheiden.» Hatte ich mich nicht längst entschieden? Ich war in die Politik hineingerutscht wie in eine Sucht. Langsam, aber sicher. Ein Zurück gab es nicht mehr. Ich analysierte die verlorene Kampagne, zog Schlüsse und Konsequenzen, telefonierte, lobte und beschimpfte – alles, um mich auf die nächste, größte und wichtigste Herausforderung meiner Karriere vorzubereiten, auf den endgültigen Griff zur Macht: den Marsch auf Berlin.
    Ich hatte den Sieg denkbar knapp verpasst. Aber: «Die Niederlage akzeptieren heißt den Sieg vorbereiten», sagt Mao Tse-tung. Und nach der Wahl ist bekanntlich vor der Wahl. Auf Facebook meinte ein Wähler: «Da wäre bestimmt mehr drin gewesen, hätte man weniger auf Inhalte gesetzt!»
    Ich musste um jeden Preis weiterkämpfen – allein schon wegen meines Unterstützerteams. Gemeinsam waren wir in den härtesten Kampf gezogen, der auf deutschem Boden legal ausgefochten werden darf, mindestens so hart wie der Todeskampf der FDP: den Wahlkampf. Tagsüber hatten wir agitiert, nachts saßen wir an den Rechnern, um Bilder, Videos und Texte zu sortieren, zu schneiden und zu verteilen, Abstimmungen zu manipulieren und um Facebook-Einträge zu löschen oder zu schreiben. Diese Leute hatten begeistert und unaufhörlich an einer Kampagne mitgearbeitet, die nur dazu gedient hatte, meine Eitelkeit zu pflegen und mich zu dem zu machen, als den ich mich gerne sah: zum Erfolgsmenschen. Ich durfte sie auf keinen Fall enttäuschen. Das hätten sie nicht verkraftet.
    Seit unserer Frankfurter Kampagne ist dieses Team so stark, dass ich mit ihm spielend jede Wahl gewinnen kann, die sich mir in den Weg stellt. Warum hätte ich das Personal auswechseln sollen? Um den mächtigen Landesvorsitzenden bin ich sowieso nicht herumgekommen – erst recht nicht mehr, nachdem er das, was von der Zehntausend-Euro-Spende übrig geblieben war, unter seine Verwaltung gestellt hat. Der Aktivist hat sich sogar als regelrechte politische Wunderwaffe entpuppt. Die Flitterwochen mit seiner frischgebackenen Ehefrau Chantal verbrachte er in den USA, um den unglücklich gestarteten Obama-Wahlkampf wieder aufs Gleis zu heben, die Sache einzutüten und den Sack zuzumachen. Für ihre Verdienste haben die beiden von mir die goldene PARTEI-Ehrennadel verliehen bekommen. Das war wesentlich günstiger, als sie an den Spendeneinnahmen zu beteiligen, die jetzt im Bundeswahlkampf tatsächlich immer reichlicher fließen.
    Nur den Politkommissar konnte ich nicht weiter im Range eines Spindoktors beschäftigen. Ich brauchte einen neuen – der alte war einfach immer mehr durchgedreht. Er sah sich mittlerweile als genialischer Inszenierer meiner Person, ja als mein «Erfinder», und hat versucht – ohne mein Wissen! – die Filmrechte an meiner Erfolgsgeschichte an RTL II zu verkaufen. Dabei war ich bereits selbst mit denen in Gesprächen! Die Fernsehleute warteten ja immer noch latent auf mein Exposé für die politische Infotainmentsendung mit den dicken Unterschichtsfrauen. Aber das sollte bald schon fertig sein, ebenso der Artikel über die Gartenbauausstellung in der Nähe von Darmstadt. Denn nun half mir mein neuer Spindoktor, der nicht nur Medienberater ist, sondern auch Journalist – der
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