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Mein Wahlkampf (German Edition)

Mein Wahlkampf (German Edition)

Titel: Mein Wahlkampf (German Edition)
Autoren: Oliver Maria Schmitt
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äußeren Schein beurteilen – von allen Kandidaten sehe ich eindeutig am besten aus. Und das ist keine Einbildung, nein, das kann ich durch wissenschaftliche Fakten jederzeit nachweisen! Dazu muss man nur auf die Webseite sexybundestag.de gehen. Wer als Politiker dort einen guten Listenplatz will, muss sämtliche Gegenüberstellungen gewinnen. Ein Zufallsgenerator wählt bei jedem Seitenaufruf zwei Bundestagsabgeordnete aus, dann kann der User entscheiden: «Mit welchem Politiker oder welcher Politikerin würden Sie lieber …» Lieber … was? Diskutieren? Kopulieren? Das bleibt der sauberen Phantasie des Netzbenutzers überlassen. Das ewige Ranking führen jedenfalls fast ausschließlich Abgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken an, während die letzten von insgesamt sechshundertsechsunddreißig Plätzen fast ausschließlich von Mitgliedern der CDU/CSU-Fraktion gestellt werden. Der Aktivist knackte das Programm und speiste mein Foto ein, wir testeten Hunderte von Gegenüberstellungen und fuhren etliche Tests – die ich jedes Mal gewann!
    Obwohl das ein sicheres Zeichen für meinen bevorstehenden Wahlsieg war, hegte der Aktivist aber immer noch Zweifel an meinen Chancen.
    «Werden dir die Wähler auf deinem Weg folgen?»
    «Da habe ich keinen Zweifel», sagte ich wahrheitsgemäß. «Ich werde persönlich mit meiner Person für mich einstehen, und meiner Person werden sie persönlich schon folgen.»
    Ich erklärte ihm, dass schließlich schon Max Weber das «persönliche Regiment» des verantwortlichen Politikers propagiert und daher gefordert habe, dass der Politiker sich nicht nach dem Willen der Wähler richten dürfe, sondern es andersherum laufen müsse: Der Politiker solle sein Charisma und seine demagogischen Fähigkeiten einsetzen, um Anhänger und Anerkennung zu finden, damit er seine politischen Ziele durchsetzen kann.
    «So wird das laufen», sagte ich, «aber wir haben leider nicht ewig Zeit zum Plaudern. Du musst los! Wahlkampf machen! Hurtig, hurtig!»

    Ohne Frage ist der nun tobende Wahlkampf um die Kanzlerschaft sehr anstrengend. Vor allem für mein Team. Ich persönlich habe leider kaum Zeit, mich selbst darum zu kümmern. Warum? Ganz einfach: Weil diese Rechtesache so viel Zeit frisst. Dieses Ding mit den Filmrechten. Wem soll ich sie nur verkaufen?
    Es ist ja wohl völlig klar, dass mein kometenhafter Aufstieg vom Nobody zum Kanzler der Herzen bald im ganz großen Maßstab verfilmt werden wird. Aber wer soll dann die Regie führen?
    Volker Schlöndorff? Ist der nicht viel zu abgehoben für einen wirklichen Kassenknaller?
    Hans W. Geißendörfer? Will ich wirklich, dass mein Leben als endlose ARD-Vorabendserie verfilmt wird – so wie Geißendörfers Projekt Lindenstraße ? Nein, Geißendörfer kommt überhaupt nicht in Frage. Was bildet der Mann sich eigentlich ein?
    Wim Wenders? Mein Leben als zäh abrollender Film? Erzählt in trübsinnig-melancholischen Bildern, unterlegt mit feister Kitschmusik? Das würde doch meinem Lebenstempo gar nicht gerecht werden! Gerade verläuft mein Leben doch ziemlich hektisch und schnell, da wäre Wenders fraglos total überfordert.
    Wolfgang Petersen, der Mann mit dem Boot ? Für ihn bietet mein Leben wiederum zu wenig Action.
    Leander Haußmann? Der kann ja nicht mal aus guten Stoffen einen erträglichen Film machen – wie soll er da erst mit meinem Spitzenstoff zurechtkommen?
    Und wer soll mich überhaupt verkörpern?
    Etwa Moritz Bleibtreu? Nein, viel zu groß, zu plump, zu einfältiger Gesichtsausdruck.
    Jürgen Vogel? Lieber nicht, den mögen irgendwie alle, das stimmt aber mit meiner Lebenswirklichkeit nicht überein. Die Leute würden ihm meinen Charakter nicht abkaufen.
    Sascha Hehn? Der sieht zwar fast so gut aus wie ich, aber würde man ihm die Rolle eines schmierigen Opportunisten abnehmen?
    Matthias Schweighöfer? Hat der nicht sogar eine eigene Produktionsfirma? Genau, der kann doch den Film machen. Aber Moment mal – dann würde er bestimmt auch die Hauptrolle spielen wollen. Wäre Matthias Schweighöfer ein glaubwürdiger Darsteller meiner Person? Wenn man mir persönlich schon kaum was abkauft, wie soll man dann Schweighöfer irgendwas abkaufen, der ja noch nicht mal glaubwürdig die Rolle eines guten Schauspielers spielen kann? Nein, Schweighöfer kommt auch nicht in Frage.
    Bleibt eigentlich nur noch Bruno Ganz. Genau. Nach seiner phänomenalen Leistung in Der Untergang hat er einerseits im Politikerfach Maßstäbe gesetzt
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