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 Mein spanisches Dorf

Mein spanisches Dorf

Titel: Mein spanisches Dorf
Autoren: Brigitte Schwaiger
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dann setzen wir uns alle nieder, und ich leicht halb schräg mit einem Knie unter dem Tisch und dem anderen gut sichtbar draußen, und wir haben weiter gelernt über Elektrizität und wie man sie aufladen kann in einem Akkumulator. Mein Gott, Schwaiger, sagt ein paar Tage später im Stiegenhaus mein lieber Deutschprofessor, jetzt hat es immer geheißen, die Schwaiger ist so gereift, und jetzt machen Sie solchen Unsinn! Ich habe ihm erklärt, daß es nur Selbstverteidigung gewesen ist, quasi die Reaktion einer Dame auf einen ungehobelten Herrn. Ja, ja, sagt mein Deutschprofessor, dafür habe ich ja vollstes Verständnis, aber der Herr Direktor müßte das halt auch so sehen.
    Da bin ich zum Direktor und habe mich vor ihn hingestellt und geweint: Weil ich doch weiß, daß ich nicht hübsch bin, da muß er mich doch nicht vorsätzlich kränken! Was reden Sie denn da für einen Unsinn, sagt der Herr Direktor und schüttelt mir die Hand und sagt, wir wollen diesen Vorfall so schnell wie möglich ganz vergessen.
    Ich habe dann über die Elektrizität so ziemlich alles doppelt und dreifach gelernt, damit es zu keinen Spannungen kommen kann zwischen meinem Physikprofessor und mir, und so durfte ich im Sommer mit allen anderen antreten zur schriftlichen und mündlichen Reife.
    Jetzt war ich aber immer vielseitig interessiert, und damals gerade von der Sowjetunion begeistert, weil ich «Die Revolution entläßt ihre Kinder» bis zur Hälfte gelesen habe, da war so faszinierend beschrieben, wie die Sowjetstudenten in ihrer Intelligenz immer wieder gefördert werden, und daß man die Säuberung unter Stalin so verstehen muß: Wenn ein Apfel angefault ist, muß man leider auch ein bißchen gesundes Fleisch mit herausschneiden, und deshalb kommen auch einige Unschuldige nach Sibirien. Weiter bin ich beim Lesen nicht gekommen, da war schon schriftliche Matura in Deutsch, und es hat das Mode-Thema gegeben für die Mädchen und ein technisches und ein politisches für die Buben.
    Über die Mode hätte ich sicher einen brillanten Aufsatz liefern können, aber es war mir ein Anliegen, mich politisch zu äußern, und ich habe ein heißes Pamphlet gegen den Kapitalismus und unsere gesamte westliche Welt verfaßt und den Idealismus und Sozialismus unserer östlichen Brüder verteidigt.
    Ich glaube, so einen schönen Aufsatz hat es im ganzen Gymnasium nie gegeben. Obwohl ich schon beim Schreiben gespürt habe, daß ich das Thema etwas verfehle, aber das war ja so nichtig im Vergleich zu meinem Anliegen.
    Am nächsten Vormittag, auf dem Weg zur schriftlichen Matura in Mathematik, treffe ich meinen Deutschprofessor, und er hat zu mir in einer Weise gesprochen, wie ich das gar nicht an ihm gekannt habe die ganzen acht Jahre. Er geht jetzt in Pension, hat er gesagt, und er hätte gern einen guten Abgang von der Schule gehabt, und warum ich nicht über Mode geschrieben habe, und gerade von mir hätte er sich so etwas nicht erwartet, und weil er uns doch acht Jahre lang gehabt hat, wird man jetzt glauben, er hat kommunistische Agitation betrieben in seinen Stunden, und daß es erst jetzt herauskommt.
    Das hat mich so verwirrt, daß ich mir die vier mathematischen Aufgaben mit einer gewissen Distanz angeschaut und nicht gelöst habe.
    Aber mein guter Stern, der mich in den ganzen Jahren auf mysteriöse Weise begleitet hat, sandte noch einmal, bei der mündlichen Reifeprüfung in Latein, seinen letzten Strahl auf mich herab.
    In Latein war ich ein bißchen schwach. Die Dichter habe ich dem Gefühl nach recht gut übersetzt, und auch Tacitus und Plinius den Jüngeren habe ich immer irgendwie intuitiv erfaßt. Und so sitze ich mit meinem Lateinprofessor am Prüfungstischchen, und leider kommt kein Dichter, sondern Plinius der Jüngere, und ich übersetze intuitiv und wortgewandt, weil ich jedesmal, wenn mir der Lateinprofessor unterm Tischchen auf die Zehen gestiegen ist, gleich einen anderen Ausdruck parat hatte.
    Und so habe ich den ganzen Text sinngemäß in unsere schöne deutsche Sprache übertragen.
    Nun noch ein paar kleine Fragen zur Grammatik, sagt der Lateinprofessor und steigt mir auf den Fuß und behält ihn während der folgenden Viertelstunde drauf. Er hat eigentlich ohne Unterbrechung gedrückt, bis der Herr Vorsitzende plötzlich sagt:
    Ich glaube, es reicht.
    Jetzt war es ganz still im Saal. Der Vorsitzende, das war ein großer, älterer Herr mit Glatze, und den haben sie uns schon mit Bedauern beschrieben gehabt als einen
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