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Mein schwacher Wille geschehe

Titel: Mein schwacher Wille geschehe
Autoren: Harry Nutt
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Unterlaufen oder bloßes Unterlassen als Widerstandsgeste favorisieren. Die Weigerung Mitzumachen als identitätsstiftende Geste. Besonders erfolgreich war diesbezüglich die französische Autorin Corinne Maier mit ihrem Bestseller
Die
Entdeckung der Faulheit. Von der Kunst, bei der Arbeit möglichst
wenig zu tun
. Maier hegt die Illusion großer und kleiner Verweigerungen, mit denen man sich einem übermächtigen gesellschaftlichen Feind zu entziehen vermag. Gewiss sind die kreativen Schübe, die aus diesen Widerstandsakten erwachsen können, nicht zu unterschätzen. Um störrisch zu sein, bedarf es ebenso Mut wie theatralischer Fähigkeiten. Wer dagegen hält, hebt sich zur Kenntlichkeit hervor. Doch aus dem Akt des Widerstands, der schwer auf Dauer zu stellen sein dürfte, erwächst keine Möglichkeit zur Normalisierung. Wer im Beruf anhaltend wenig tut, fliegt irgendwann raus, wie gut ausgearbeitet sein subversives Programm auch gewesen sein mag. Die Strategie kreativer Faulheit setzt ein intaktes Feindbild voraus, das jedoch immer schwerer auszumachen ist. Das traditionelle Gefälle zwischen denen, die Arbeit verteilen und denen, die sie verrichten, ist weitgehend aufgehoben. |213| Wer Arbeit zu verteilen hat, kann selbst rasch von der Krise erfasst werden. Diese Dynamik scheint auch von den sich als soziale Bewegung inszenierenden »glücklichen Arbeitslosen« vernachlässigt zu werden, wenn sie ein Recht auf Faulheit proklamieren und für eine demonstrative Untugend optieren. Sie pochen auf Verrechtlichung, obwohl diese die wirtschaftlichen Fliehkräfte längst schon nicht mehr aufzuhalten vermag. Ein Recht auf Faulheit wird von niemandem bestritten. Die gesellschaftlichen Institutionen haben sich allenfalls darauf verständigt, Untätigkeit nicht zu gratifizieren. Dass selbst das nicht völlig ausgeschlossen ist, zeigen die Diskussionen über Bürger-, Elterngeld und andere Transferleistungen, die diesen Modellen zufolge dem bloßen Dasein zur Verfügung gestellt werden sollen.
    Darüber hinaus ist nicht zu übersehen, dass die Proklamation der Faulheit als Norm ihren Charme schnell zu verlieren droht. Programmatische Faulheit bedarf der Existenz der anderen, die so dumm sind, strebsam und fleißig zu sein. Am Ende erfordert gerade das Faulsein eine Energie, die man doch gerade nicht gewillt war, für andere aufzuwenden. Trotz aller subversiven Verve, die dem sozialen Experiment der glücklichen Arbeitslosen innewohnt, können die Konzepte der Faulheit, programmatische Oblomowerei, nicht ohne Schuldgefühle genossen werden. Die Wonnen des Nichtstuns verheißen letztlich keine Freiheit, sondern zwingen in einen dauerhaften Kampf gegen geregelte Tätigkeit. Letztlich entlastet das propagierte Nichtstun nicht von der Allgegenwärtigkeit des Reichs der Tätigkeit. Was auszuarbeiten wäre, sind stattdessen vielleicht Verhaltenslehren des Nachlassens.
    In diesem Sinn lassen sich die Beispiele unzeitgemäßer Lebensführung lesen, die sich den Charme einer vorläufigen Lebenskunst bewahrt haben. Der Architekt Rainer K. zum Beispiel erlaubt sich den Luxus, nicht an die modernen Kommunikationstechniken angeschlossen zu sein. Er telefoniert mit einem |214| uralten Nokia-Handy der ersten Generation, bei dem meist der Akku leer ist. Für berufliche Gespräche benutzt er das Gerät ohnehin nicht. Es dient lediglich für den Notfall, um für seine Frau und Kinder erreichbar zu sein. Eigentlich wäre auch das nicht wirklich nötig. Die Kinder sind fast erwachsen und sein Büro befindet sich in unmittelbarer Nähe zur Wohnung der Familie. Rainer K. arbeitet gewissenhaft an seinen Entwürfen, und seine Auftraggeber haben sich damit abgefunden, dass er bisweilen schlecht zu erreichen ist. Seinem beruflichen Fortkommen, ist er sich sicher, hat das bislang nicht geschadet. Das knochenartige Handgerät ist jedoch in jeder Unterhaltung der Renner. Technische Rückständigkeit wird inzwischen elegant in den Lebensstil eingearbeitet. Der eigene Erfolg hängt nicht mehr nur davon ab, dauerhaft angeschlossen zu sein. Was zählt, ist vielmehr der stilvolle Wechsel zwischen On und Off. Das Beispiel von Rainer K. ist denn auch keineswegs als Aufruf zur technischen Rückständigkeit misszuverstehen, die zudem wenig Tugendhaftes an sich hätte. Fern von jedem Ästhetizismus ist es nicht einmal als Antwort auf den Erwartungsdruck moderner Selbstbehauptung zu deuten. Es hat sich ergeben, so wie man mal unpünktlich ist oder von einer Sache,
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