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Mein Sanfter Zwilling

Mein Sanfter Zwilling

Titel: Mein Sanfter Zwilling
Autoren: Nino Haratischwili
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sich um.
    – Wo ist Buba?
    – Er schläft bei seinem Freund. Was ist passiert? Du hast getrunken.
    – Ich bin so klar, wie ich es selten war.
    – Sie sind übermorgen wieder da. Beruhige dich bitte. Ich habe mir gestern wirklich Sorgen um dich gemacht.
    – Ja, ja, sie sind bald wieder da. Alles ist okay, mach dir keine Sorgen bitte.
    Ob Salome tatsächlich annahm, dass ich betrunken war, und überreagierte, oder ob sie einfach nicht das hören wollte, was ich ihr sagen könnte? Ich hatte keine Kraft mehr, das zu entscheiden, und legte mich ins Bett. Sie legte sich zu mir, wahrscheinlich, weil sie dachte, dass es ihre Pflicht war, mich abzulenken. Ich schlief innerhalb von wenigen Minuten ein.
    – Ich weiß, du kannst jetzt nicht rangehen, aber ich will dir sagen, dass es mir leidtut, dass ich dir damals gesagt habe, du sollst es deinem Vater sagen. Bitte verzeih mir. Aber ich will dir noch eine Sache sagen. Ich will dir sagen, dass nicht erst jener Nachmittag uns aneinandergekettet hat. Denn dieser eine Nachmittag konnte sich nur so ereignen, weil ich bei dir blieb und du bei mir. Freiwillig. Weil ich es so wollte und du es so wolltest. Das heißt, es war nicht der beschissene Nachmittag, Ivo, der das alles so hingebogen hat. Nein, der Nachmittag machte mir klar, dass ich bei und mit dir sein will . Ich würde dir die Wahl lassen, ich würde losgerannt sein, wenn ich nur die Zeit zurückdrehen könnte, ich wäre von dem Baum gesprungen und meinem Vater gefolgt. Und hätte dir damit alles erspart, was dann kam. Das würde ich tun, wenn ich das könnte. Ich habe mich für dich entschieden, ohne zu wissen, dass diese Entscheidung alles zerstören würde. Aber du hast es auch getan. Und ja, wir waren Kinder, Ivo, wir hatten Angst um unsere Träume, vor dem Auseinandergerissenwerden, wir hatten Angst umeinander. Aber, ja, aber. Das ist alles, was ich dir noch sagen kann.
    Ich sprach es ihm auf die Mailbox und legte auf. Salome schlief auf der Seite des Bettes, auf der sonst Ivo schlief. Die Uhr zeigte auf acht. Ich ging ins Bad und wusch mich. Ich sah erbärmlich aus, meine Augenringe hatten sich in schwarze Löcher verwandelt. Ich kämmte mir das Haar und machte mir einen Kaffee. Trotz meines grandiosen Absturzes letzte Nacht war ich klar und nach dem kurzen Schlaf wieder voller Kraft.
    Den Tag verbrachte ich mit Salome und Buba auf dem Markt. Wir kauften ein, kochten später in Lados Haus und spielten Karten. Buba hatte Freunde zu Besuch, Salome und ich bewirteten die Jungs wie zwei unverheiratete, keusche alte Tanten und lachten dabei über uns selbst.
    Lado hatte angerufen und kurz mitgeteilt, dass sie sich heute Nacht auf den Rückweg machen würden. Salome schien entspannt, und auch meine Unruhe steckte ich recht erfolgreich weg. Ich schlief auf der Couch im Wohnzimmer ein, benebelt vom guten Essen, vom Hauswein und von den Fernsehgeräuschen aus Bubas Zimmer.
    Am späten Abend sollten sie ankommen. Bis dahin hatte ich aufgeräumt, Wäsche gewaschen und mich mit nebensächlichen Tätigkeiten abgelenkt, hatte mich auf die Terrasse gesetzt und Vanilleeis gegessen, direkt aus der Packung. Die Hitze schien nicht mehr so drückend, und etwas in mir schien unendlich leicht, unendlich frei und ruhig. Etwas schien überwunden. Ich sah auf die Stadt hinunter und dachte, dass ich es mir wunderbar vorstellen könnte, völlig neu anzufangen. Neu mit Theo, neu mit mir, neu vielleicht auch mit Ivo. Ich konnte mir vorstellen, Europa für ein paar Jahre den Rücken zu kehren und hierherzuziehen. Gesi zu besuchen und wieder mit dem Schreiben anzufangen, mit richtigem Schreiben, unverschleiert, unangepasst. Ich konnte mir vorstellen, frei zu werden, mein eigener Herr und frei zu publizieren. Ich konnte es mir wunderbar vorstellen, in dieser Wohnung zu leben und auf diesem Balkon Blumen anzupflanzen, Theo würde sich mit Buba anfreunden, ich würde die fremde Sprache und deren Lieder lernen, mir selbst neu begegnen können. Hier, losgelöst von allen Zwängen, frei von den Verantwortlichkeiten, bereit, alles abzuschließen.
    In diese Gedanken hinein klingelte mein Telefon, und Salome teilte mir mit, dass sie tot waren.
    Alexej hatte damals erfahren, dass seine georgische Geliebte mit dem Feind verheiratet war, einem feindlichen Anführer sogar, und sein leibliches Kind zur Welt gebracht hatte. Sie hatte ihm an diesem Tag gesagt, dass sie weggehen, zurück zu ihrem Mann gehen würde, und ihn beschworen, sie loszulassen. In jener
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