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Mein Leben Ohne Gestern

Mein Leben Ohne Gestern

Titel: Mein Leben Ohne Gestern
Autoren: Lisa Genova
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abgedeckt«, sagte die Mutter.
    Die Mutter kam zurück, ein blau angezogenes Baby im Arm, dem sie immer wieder den Nacken küsste. Das Baby weinte noch immer, war aber nicht mehr mit dem Herzen dabei. Die schnellen Küsse der Mutter wirkten. Die Mutter steckte dem Baby ein Ding zum Nuckeln in den Mund.
    »Ist ja gut, mein Schatz. Danke, Carole, haben Sie vielen Dank. Sie sind ein Geschenk des Himmels. Schönes Wochenende, und bis Montag.«
    »Bis Montag, Wiedersehen, Lydia!«, rief die Frau.
    »Wiedersehen, und danke, Carole!«, rief eine Stimme von irgendwo im Haus.
    Die großen runden Augen des Babys sahen in Alice’ Augen, und es lächelte hinter seinem Nuckelding, als es sie erkannte. Alice lächelte zurück, und das Baby reagierte mit einem breiten Lachen. Das Nuckelding fiel auf den Boden. Die Mutter bückte sich und hob es auf.
    »Mom, willst du ihn für mich halten?«
    Die Mutter reichte Alice den Jungen, und er kuschelte sich in ihre Arme und an ihre Hüfte. Er begann, mit einer seiner nassen Hände ihr Gesicht zu tätscheln. Das tat er gern, und Alice ließ es gern geschehen. Er griff nach ihrer Unterlippe. Sie tat, als würde sie darauf beißen und sie aufessen, während sie wilde Tierlaute nachahmte. Er lachte und ging zu ihrer Nase über. Sie schnupperte und schnupperte und tat, als würde sie niesen. Dann ging er zu ihren Augen über. Sie kniff sie zusammen, damit er sie nicht stechen konnte, und blinzelte, um seine Hand mit ihren Wimpern zu kitzeln. Er streckte seine Hand über ihre Stirn nach ihrem Haar aus, ballte seine kleine Faustund zog daran. Sie löste seine Hand sanft und bot ihm statt ihrer Haare ihren Zeigefinger. Er fand ihre Halskette.
    »Siehst du diesen hübschen Schmetterling?«
    »Lass ihn das nicht in den Mund nehmen!«, rief die Mutter, die in einem anderen Zimmer, aber in Hörweite war.
    Alice hatte nicht vorgehabt, das Baby ihre Halskette in den Mund nehmen zu lassen, und sie fühlte sich zu Unrecht beschuldigt. Sie ging in das Zimmer, in dem die Mutter war. Es war übersät mit allen möglichen kunterbunten Babysitz-Dingern, die piepsten und summten und redeten, wenn die Babys mit den Händen daraufschlugen. Alice hatte vergessen, dass das hier das Zimmer mit den vielen lauten Sitzen war. Sie wollte gehen, bevor die Mutter vorschlug, sie solle das Baby in einen davon setzen. Aber die Schauspielerin war auch hier in diesem Zimmer, und Alice wollte in ihrer Nähe sein.
    »Kommt Dad dieses Wochenende?«, fragte die Schauspielerin.
    »Nein, er kann nicht, er hat gesagt, nächste Woche. Kann ich dich und Mom kurz allein lassen? Ich muss nur schnell zum Supermarkt. Allison dürfte noch eine Stunde schlafen.«
    »Na klar.«
    »Ich werde mich beeilen. Brauchst du irgendwas?«, fragte die Mutter, während sie aus dem Zimmer ging.
    »Noch etwas Eiscreme, irgendwas mit Schokolade!«, rief die Schauspielerin.
    Alice fand ein Stofftier ohne laute Knöpfe und setzte sich, und das Baby erkundete es in ihrem Schoß. Sie roch an seinem fast kahlen Kopf und sah zu, wie die Schauspielerin las. Die Schauspielerin sah zu ihr hoch.
    »Hey, Mom, willst du dir diesen Monolog anhören, an dem ich für meinen Kurs arbeite, und mir sagen, was du meinst, worum es da geht? Nicht die ganze Geschichte, die ist ein bisschen lang. Du musst dich nicht an die Worte erinnern, sag mir einfach, was du meinst, worum es emotional geht. Wenn ichfertig bin, sag mir, was für Gefühle ich dabei in dir geweckt habe, okay?«
    Alice nickte, und die Schauspielerin begann. Alice sah und hörte zu und achtete auf das, was jenseits der Worte lag, die die Schauspielerin sprach. Sie sah, wie ihre Augen verzweifelt wurden, forschend, um Wahrheit flehend. Sie sah, wie sie weich und dankbar darauf landeten. Ihre Stimme kam ihr anfangs zögernd und ängstlich vor. Langsam, und ohne lauter zu werden, wurde sie selbstbewusster und dann fröhlich, spielte manchmal wie ein Lied. Ihre Augenbrauen und Schultern und Hände wurden weicher und öffneten sich, baten um Akzeptanz und boten Vergebung. Ihre Stimme und ihr Körper schufen eine Energie, die Alice erfüllte und zu Tränen rührte. Sie drückte das schöne Baby in ihrem Schoß und küsste seinen süßlich riechenden Kopf.
    Die Schauspielerin hörte auf und kehrte zu sich selbst zurück. Sie sah Alice an und wartete.
    »Okay, was fühlst du?«
    »Ich fühle Liebe. Es geht um Liebe.«
    Die Schauspielerin kreischte auf, stürzte zu Alice hinüber, küsste sie auf die Wange und lächelte.
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