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Mein Leben Ohne Gestern

Mein Leben Ohne Gestern

Titel: Mein Leben Ohne Gestern
Autoren: Lisa Genova
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er.
    »Was?«
    »Stanford.«
    »Ach, gut.«
    »Und wie geht’s Lydia?«
    Das Gefühl von Verrat und Verletzung – wegen Lydia und weil er nicht zu Hause war, als sie zurückkam –, ausgetrieben mit dem Laufen und ersetzt durch ihre Angst, als sie auf einmal auf unerklärliche Weise verloren gewesen war, forderte wieder den ersten Platz in der Hackordnung ein.
    »Ich dachte, das könntest du mir sagen«, sagte sie.
    »Ihr habt euch gestritten.«
    »Du bezahlst ihren Schauspielunterricht?«, sagte sie vorwurfsvoll.
    »Oh«, sagte er und steckte sich das letzte Stück Eis in seinen rot verschmierten Mund. »Hör mal, können wir vielleicht später darüber reden? Ich hab jetzt nicht die Zeit, mich damit zu befassen.«
    »Dann nimm dir die Zeit, John. Du hältst sie dort draußen über Wasser, ohne es mir zu sagen, und du bist nicht hier, wenn ich nach Hause komme, und …«
    »Und du warst nicht hier, als ich nach Hause gekommen bin. Wie war dein Laufen?«
    Sie hörte die schlichte Logik in seiner verschleierten Frage. Wenn sie auf ihn gewartet hätte, wenn sie angerufen hätte, wenn sie nicht genau das getan hätte, was sie tun wollte, nämlich zu laufen, dann hätte sie die letzte Stunde mit ihm verbringen können. Sie musste ihm recht geben.
    »Schön.«
    »Es tut mir leid, ich habe so lange wie möglich gewartet,aber ich muss jetzt wirklich zurück ins Labor. Bis jetzt hatte ich einen unglaublichen Tag, tolle Ergebnisse, aber wir sind noch nicht fertig, und ich muss noch die Zahlen analysieren, bevor wir morgen früh wieder anfangen. Ich bin nur nach Hause gekommen, um dich zu sehen.«
    »Ich muss jetzt mit dir über diese Sache reden.«
    »Das ist doch wirklich keine neue Information, Ali. Wir sind geteilter Meinung über Lydia. Kann das nicht warten, bis ich wieder da bin?«
    »Nein.«
    »Wollen wir zu Fuß gehen und auf dem Weg darüber reden?«
    »Ich gehe nicht ins Büro, ich muss zu Hause sein.«
    »Du musst jetzt reden, du musst zu Hause sein, du bist auf einmal schrecklich bedürftig. Ist sonst noch irgendetwas los?«
    Das Wort »bedürftig« traf einen empfindlichen Nerv. Bedürftig stand für schwach, abhängig, pathologisch. Ihr Vater. Sie hatte sich geschworen, in ihrem ganzen Leben niemals so zu sein, niemals so zu sein wie er.
    »Ich bin nur erschöpft.«
    »So siehst du auch aus, du musst einfach kürzertreten.«
    »Das ist es nicht.«
    Er wartete auf eine genauere Erklärung, aber sie brauchte zu lange.
    »Hör zu, je früher ich gehe, desto früher bin ich wieder da. Ruh dich ein bisschen aus, und ich komme heute Abend zurück.«
    Er küsste ihren schweißdurchnässten Kopf und ging zur Tür hinaus.
    Während sie in der Diele stand, in der er sie zurückgelassen hatte, mit niemandem, dem sie ihr Herz ausschütten oder sich anvertrauen konnte, zog ihr das ganze emotionale Nachbeben dessen, was sie soeben auf dem Harvard Square erlebt hatte, den Boden unter den Füßen weg. Sie setzte sich auf den Boden und lehnte sich gegen die kühle Wand, und sie betrachtete diezitternden Hände in ihrem Schoß, als könnten sie unmöglich zu ihr gehören. Sie versuchte, sich darauf zu konzentrieren, gleichmäßig zu atmen, wie sie es beim Laufen immer tat.
    Nachdem sie ein paar Minuten lang tief ein- und ausgeatmet hatte, war sie endlich ruhig genug, um zu versuchen, sich einen Reim auf das zu machen, was
     soeben passiert war. Sie dachte an das Wort, das ihr bei ihrem Vortrag in Stanford entfallen war, an ihre Periode, die ausgeblieben war. Sie stand auf,
     schaltete ihren Laptop ein und gab die Wörter MENOPAU-SALE SYMPTOME bei Google ein.
    Eine erschreckende Liste füllte den Bildschirm aus – Hitzewallungen, nächtliche Schweißausbrüche, Schlaflosigkeit, völlige Erschöpfung, Angstzustände, Schwindelgefühle, unregelmäßiger Herzschlag, Depression, Reizbarkeit, Stimmungsschwankungen, Orientierungslosigkeit, geistige Verwirrung, Gedächtnisausfälle.
    Orientierungslosigkeit, geistige Verwirrung, Gedächtnisausfälle. Prüf das nach, prüf das nach, prüf das nach. Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und fuhr sich mit den Fingern immer wieder durch ihre schwarzen Locken. Sie sah hinüber zu den Fotos, die auf den Regalen des deckenhohen Bücherschranks standen – sie selbst an ihrem Abschlusstag in Harvard, sie und John, wie sie auf ihrer Hochzeit tanzten, Familienfotos aus der Zeit, als die Kinder klein waren, ein Familienfoto von Annas Hochzeit. Sie wandte sich wieder der Liste auf ihrem
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