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Mein Leben in 80 B

Mein Leben in 80 B

Titel: Mein Leben in 80 B
Autoren: Anja Goerz
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daran, den Tisch abzuräumen. Danach würde ich meine Ware aus dem Auto ausladen und dann vielleicht schon mal die Party-Termine für die nächsten Wochen planen. Vielleicht war noch Zeit für einen Plausch am Telefon mit Elissa. So langsam begann das Weihnachtsgeschäft, da musste ich dringend neue Ware ordern.

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    3. Kapitel
    Das Wochenende war genau so verlaufen, wie ich es vorausgesehen hatte. Toni hatte die meiste Zeit in der Agentur verbracht, Hanna wollte bei einer Freundin übernachten und war erst am Sonntagabend wieder aufgetaucht, Tom hatte sich die Zeit damit vertrieben, auf seinem Fahrrad von einem Freund in der Nachbarschaft zum nächsten zu düsen, und ich hatte mich mit verschiedenen Kleinigkeiten aufgehalten. In einer Familie mit zwei Kindern gab es ja immer etwas zu erledigen. Ich hatte eine Liste gemacht, auf der ich abhaken konnte, was vor unserem alljährlichen nachweihnachtlichen Skiurlaub mit Freunden noch zu erledigen war. Auf einer weiteren Liste hatte ich meine Ideen für Weihnachtsgeschenke notiert, und in den Kochbüchern hatte ich mit Klebezetteln ein paar Menüideen für die Feiertage markiert. Vielleicht würde ich in diesem Jahr von der klassischen Pute abweichen und etwas Neues ausprobieren. Vielleicht wenigstens einen anderen Nachtisch als immer Vanilleeis mit heißen Himbeeren? Ich hatte die Ware aus dem Auto geräumt, Inventur gemacht, Hemden in die Reinigung gebracht, Brote für Tom geschmiert und abends bei einem Glas Wein irgendwelchen Zeichentrick-Abenteuern zugesehen und meinen Gedanken nachgehangen.
    Jetzt, am späten Montagmorgen, saß ich mit der dritten Tasse Kaffee am Schreibtisch meines winzigen Arbeitszimmers. Im ersten Stock hatte Toni mir einen eigentlich als Abstellkammer gedachten Raum zu einem gemütlichen Zimmer umgestalten lassen. Direkt vor dem Fenster stand ein kleiner weißer Schreibtisch mit meinem Laptop darauf und einem Drucker darunter. Rechts davon ein Regal mit eingeschobenen Kästen, in denen ich die Warenmuster unterbringen konnte. In der anderen Ecke des Zimmers ein gemütlicher Sessel mit Fußhocker, in den ich mich kuschelte, um zu lesen, Musik zu hören oder einfach nur für mich zu sein. Der ganze Raum war in Braun- und Sandtönen gehalten und strahlte eine behagliche Atmosphäre aus. Und das Beste: Jedes meiner Familienmitglieder hatte begriffen, dass dieses Zimmer mein Reich war und ich hier nicht gestört werden durfte. Zu diesen Familienmitgliedern zählte auch Alma, die heute früh gekommen war, kurz nachdem Toni mit den Kindern in Richtung Schule und Büro aufgebrochen war, und die gerade die Betten im ganzen Haus neu bezog.
    Beim Blick aus dem Fenster konnte ich Sönke sehen, der den kühlen, aber sonnigen Novembertag dazu nutzte, den Garten winterfest zu machen. Er harkte das letzte herabgefallene Laub zusammen und wickelte die Töpfe mit den Rosenbäumchen in Bastmatten, um sie vor dem harten Frost zu schützen. Bei jedem Atemzug schickte er kleine Wölkchen in die Luft.
    Ich kuschelte mich tiefer in meine Fleecejacke und fuhr den Computer hoch, um meine E-Mails zu checken, die Abrechnung vom Freitagabend und die Bestellung der Ware an Lucinda-Dessous einzugeben.
    Beim Sortieren der handgeschriebenen Listen fiel mir ein alter Zeitungsausschnitt in die Hände. Elissa hatte ihn vor etlichen Jahren aus einem Berliner Stadtmagazin herausgerissen und mir zur Erinnerung an einen winterlichen Abend mit meiner Freundin in Berlin geschickt. Er war mir im Gedächtnis geblieben, als wäre es gestern gewesen. Elissa war damals noch ganz frisch als Restaurantkritikerin bei der Stadtzeitung, lange vor ihrer Zeit auf Sylt, und es war einer ihrer ersten Test-Abende gewesen, der ihr den Weg in eine große Karriere an gedeckten Tischen in ganz Deutschland bereitete. Elissa wollte mich an ihrem neuen Leben in allen Facetten teilhaben lassen. Sie war stolz auf das, was sie geschafft hatte, und wollte mir zeigen, wie sie arbeitete. Ich war neugierig und aufgeregt. Natürlich hatte ich schon viel über ihre Arbeit und die Auswirkungen veröffentlichter Restaurantkritiken gehört, aber von Anfang bis Ende dabei gewesen war ich noch nie. Essen und Personal einmal aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten, war für mich etwas ganz Besonderes. Ich fühlte mich beinahe wie am ersten Schultag.
    Das zu besprechende, damals neu eröffnete Restaurant lag in der Köpenicker Straße direkt an der Spree. Links und rechts vom Eingang glitzerten kleine
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