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Mein Leben in 80 B

Mein Leben in 80 B

Titel: Mein Leben in 80 B
Autoren: Anja Goerz
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Tannenbäumchen mit elektrischen Lichterketten. Ein roter Teppich geleitete die Besucher hinein. Bereits im Eingangsbereich eilte eine Mitarbeiterin des Hauses auf uns zu und nahm uns Mäntel, Schals und Mützen ab. Das Restaurant war gut besucht. In der Mitte des Raumes befand sich ein langer Tisch, fast schon eine Tafel, an der anscheinend eine vorgezogene Firmen-Weihnachtsfeier stattfand. Von den hohen Decken baumelten moderne Kronleuchter, an den Wänden prangten riesengroße Fotos, wie ich sie immer hatte machen wollen, von gegerbten Gesichtern verbrauchter Männer und zahnlos lachenden alten Frauen. Kleine, in den Boden eingelassene Lichter zeigten den Weg wie im Flugzeug bei einer Notlandung. Am einen Ende des Saals prasselte ein Feuer im Kamin, am anderen sah man durch eine lange Fensterfront die Lichter der Stadt, die sich in der Spree spiegelten. Die freundliche, mit einer schwarzen Hose, einer Bluse und darüber einer langen dunkelroten Kochschürze mit dem Logo des Restaurants bekleidete Servicekraft führte uns zu unserem Tisch am Fenster mit Blick aufs Wasser.
    «Ach nein, am Fenster sitze ich nicht gern, wenn es so kalt ist. Da zieht es immer so. Könnten wir einen anderen Tisch bekommen?», fragte Elissa.
    Die Kellnerin lächelte. «Selbstverständlich. Möchten Sie vielleicht in der Nähe unseres Kamins Platz nehmen?»
    Elissa schüttelte unwillig den Kopf. «Bloß nicht, das kennt man ja, so eine Kamintemperatur lässt sich doch überhaupt nicht regeln. Da schwitzt man dann ganz fürchterlich und bekommt grässlichen Durst. Das hat sich der Wirt sicher extra so überlegt, damit man viel Wasser bestellt!»
    Die Restaurant-Mitarbeiterin blieb geduldig: «Wie wäre es dann mit diesem Tisch?» Sie führte uns an den Fenstern vorbei in einen kleinen separaten Raum, in dem lediglich drei Tische standen. Sie zeigte auf den, der am weitesten vom Fenster entfernt war.
    «Ja, das sieht nett aus.» Elissa marschierte auf den Platz zu, von dem aus sie das Restaurant gut überblicken konnte.
    Sichtlich erleichtert zog die Kellnerin die Stühle zurück und reichte uns die Speisekarten. «Bitte schön. Darf es schon ein Getränk sein? Als Aperitif servieren wir heute einen Kir Breton aus Cidre und Creme de Cassis oder einen Prosecco mit Petersilien-Essenz.»
    Sie stand abwartend da, während Elissa die Speise- und Getränkekarte ausführlich und ohne jeden Zeitdruck scannte. Ich konnte mir das Lachen kaum verkneifen, während die Minuten verstrichen und Elissa sich nicht regte. Aber die Abgesandte des Restaurants ließ sich nicht irritieren und wartete schweigend zwischen unseren Stühlen, beide Hände auf dem Rücken verschränkt. Ich wäre schon längst wahnsinnig geworden.
    «Nein, Prosecco lieber nicht. Fürchterliches Zeug. Und diese gemischten Sachen mag ich auch nicht. Da hat man ja schon Kopfschmerzen, bevor das Dessert kommt. Bringen Sie uns doch bitte einfach zwei Champagner.»
    «Sehr gern. Ich bin gleich zurück.»
    Die Kellnerin war kaum drei Schritte von unserem Tisch entfernt, als ich losprustete: «Mensch, übertreib es nicht. Das arme Mädchen kann sein Studium nicht zu Ende bringen, wenn es den Job hier deinetwegen schmeißt. Mach es ihr doch nicht unnötig schwer, die ist wirklich nett.»
    «Das mache ich ja gar nicht, im Gegenteil. Ich habe mich doch nun wirklich sehr schnell mit einem Tisch zufriedengegeben, noch dazu habe ich ein völlig simples Getränk zum Start ausgesucht. Die ersten Pluspunkte konnte das Mädel auch schon gewinnen. Gleichbleibend freundlich, ohne mit der Wimper zu zucken, so soll es sein. Und nun, meine Liebe, gucken wir mal, was der Koch so zu bieten hat.» Sie blätterte mit gerunzelter Stirn in der Speisekarte herum. «Nach was steht dir denn der Sinn? Eher Fisch oder Fleisch? Oder vegetarisch? Für Freunde des schlichten Gemüses ist die Auswahl eher gering, schade. Darf ich für dich mitbestellen? Ja, oder? Dann können wir gegenseitig probieren. Das macht es viel einfacher.»
    «Merkst du dir eigentlich, was heute alles gut und nicht gut ist, oder schreibst du gleich noch etwas auf?»
    Elissa grinste und deutete auf ihre geöffnete Handtasche auf dem Stuhl neben sich. «Profi-Equipment ist die halbe Miete, Schätzchen. Ich habe ein Diktiergerät und zeichne alles auf. So kann ich mich vollkommen auf das mehr oder weniger wunderbare Essen konzentrieren und vergesse nicht die klitzekleinste Kleinigkeit, sei es, was den Service betrifft, sei es …» Sie unterbrach
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